Liebe Yvi,
YvonneTV hat geschrieben: Mi 28. Feb 2024, 17:42
Als Queer-Genderfluid mag das für mich noch mal anders sein - auf jeden Fall macht es das leichter, da das "möglichst weiblich"
nicht mehr im Vordergrund steht - das war früher anders.
(der letzte Satz ist jetzt mal ne Kurzfassung, um hier nicht vom Thema abzudriften
)
Ich finde deine Anmerkung sehr passend in diesem Thema.
Klar, "weibliches Aussehen" (was immer damit genau gemeint sein soll) spielt eine Rolle bei meiner Kleidungswahl. Aber nicht in dem engen Sinne, dass ich versuche, irgendwelchen Stereotypen möglichst nahe zu kommen. Das wäre ja wieder fremdbestimmt, nur umgekehrt wie in der männlichen Rolle.
Was ich versuche, ist folgendes:
Ich schau mich da draußen um, was die Leute tragen, wie sie es kombinieren, welche Wirkung sie damit erzielen, und vielleicht sogar, welche Aussage sie mit ihrem Auftritt machen wollen. Das ist zunächst mal völlig unabhängig vom Geschlecht der Personen.
Dann merke ich bald, was mich mehr anspricht, und was weniger, was mir gut gefällt, und was gar nicht. Übrig bleiben die Sachen, die ich auch gerne an-/ausprobieren würde - wobei viele von vornherein wegfallen, weil sie nicht zu meiner Figur, zu meinem Typ passen.
Das ist der schwierige Punkt:
Schon im Vorfeld zu erkennen, was mir tatsächlich stehen könnte, und es von dem zu trennen, was mir zwar unheimlich gut gefällt, aber nicht zu mir passt.
Und genau an der Stelle habe ich das Korsett lange Zeit aussortiert, weil ich mir dieses zutiefst weibliche Kleidungsstück nicht zugestehen konnte. Es hat mich verwirrt und überfordert. Es hätte für mich eine so krasse Grenzüberschreitung bedeutet, fast wie eine Anmaßung, diesen Raum zu betreten, der doch den Frauen vorbehalten war, und nicht nur das, er war besonderen Frauen vorbehalten. Denen, die sich über all das im klaren waren und die über den Dingen standen. Die spielten (in meiner Wahrnehmung) vier Klassen über mir, mindestens, und das auch noch in der Damenliga. So war es mir nicht möglich, mich darauf einzulassen, zu weit entfernt war es von meiner Lebenswirklichkeit. Nur ein Traum, den beinahe überirdische Wesen zwar leben konnten, dessen Verwirklichung aber weit jenseits meiner Möglichkeiten lag.
Da stand ich mir also selbst im Weg, und heute weiß ich gar nicht mehr so genau, wie es dazu gekommen ist. Ich habe mich einfach nicht getraut. Ich war nicht bereit dafür, nicht mutig genug. Zu stark war die Faszination für dieses Teil, das weit mehr ist, als ein simples Kleidungsstück. In Gedanken hatte ich es über und über mit Bedeutung und Symbolik aufgeladen.
Vielleicht nicht ganz zu Unrecht - es ist eine starke Ansage, sich im Korsett zu zeigen, ein Statement der Unabhängigkeit, das viel Selbstvertrauen und Selbstsicherheit erfordert.
Du schreibst es selbst:
YvonneTV hat geschrieben: Mi 28. Feb 2024, 17:49
Dieses "Hier bin ich ich, yeeeeeeeah !" Auftreten - DAS macht was aus
Ja, so aufzutreten macht einen Unterschied. Man gibt klar zu erkennen, dass man sich von der Masse abhebt, und dass man das Gefühl hat, sich das auch leisten zu können. Das ist für Außenstehende beeindruckend, kann aber auch ein wenig einschüchternd wirken.
All das hatte ich also damals im Hinterkopf, teilweise wohl unbewusst. Ich fühlte mich so einem Auftritt nicht gewachsen. Also blieb es ein stiller Traum, der sich zwar immer wieder in Erinnerung brachte, aber eben ein Traum blieb.
Erst viele Jahre später "erlaubte" ich mir selbst mein erstes Korsett, ein schwarzes Unterbrustkorsett aus Leder. Es kam nach ein paar Tagen in einem unauffälligen Päckchen bei mir an. Zuerst musste noch die Schnur eingefädelt werden, und natürlich machte ich trotz Anleitung Fehler, so dass ich diese Prozedur nicht nur einmal durchführen musste. Die Ungeduld stieg, wie es sich wohl in Wirklichkeit anfühlen würde, nach all den Jahren Kopfkino.
Endlich war es so weit. Das erste Mal um die Taille legen. Da es für die weibliche Anatomie geschnitten war, fühlte sich das seltsam an. Im mittleren Bereich schon ziemlich eng sitzend, oben und unten noch reichlich Luft. Ein Gefühl, wie ein breiter Gürtel, der zu hoch sitzt und oben und unten noch überschüssiges Material dran hat. Zudem war es nicht ganz einfach, die Schnüre blind hinter dem Rücken fest zu ziehen ohne sie durcheinander zu bringen. Ein Spiegel war auch keine Hilfe. Ich hätte vorne einen zweiten gebraucht, um mir nicht den Hals zu verrenken. Und dann verwechselt man erst noch links und rechts
Nach ewig langen Bemühungen war es endlich geschafft. Das Korsett lag komplett auf meiner Haut an und formte meinen Körper. Der Druck von allen Seiten war deutlich zu spüren, aber nicht unangenehm. Und nicht nur das - ganz unmerklich hatte sich dieses wohlige Gefühl von Geborgenheit eingestellt, mit dem ich gar nicht gerechnet hatte. Meine Erwartungen wurden weit übertroffen.
Zu allem Überfluss sah es im Spiegel auch noch so unheimlich "weiblich" aus. Das war sozusagen das Sahnehäubchen, ein mehr als willkommener Nebeneffekt. Klar, durchaus beabsichtigt, sonst hätte ich ja ein Modell für die männliche Anatomie bestellen können. Aber die gefielen mir nicht, siehe oben.
Nicht, dass ich jemals irgendwo in freier Wildbahn einen Mann gesehen hätte der offen sichtbar ein Korsett trug, aber es gab genügend Bilder davon, die mich nicht ansprachen. Frauen mit Korsett sind außerhalb von bestimmten Veranstaltungen auch so gut wie nicht existent, sieht man mal von ein paar Punk- oder Gothic-Mädels ab.
Bei meinen anderen Klamotten ist es so ähnlich. Ich suche mir das aus, was gefällt, womit ich mich wohlfühle, was mich glücklich macht. Das ist automatisch das, was sich mit meinem positiven inneren Erleben deckt. Es drückt also aus, was ich fühle und was ich bin. Dass diese Kleidung fast ausschließlich aus der Damenabteilung stammt, ist in erster Linie meinem Geschmack und dem Empfinden für Ästhetik geschuldet. Ich habe sie dort nicht einsortiert, das war jemand anders
Ich trage diese Kleidung, weil sie mir gefällt, und nicht, weil auf irgend einem versteckten Label steht: "For Ladies".
Mein ursprüngliches Bestreben ist nicht, "möglichst weiblich" auszusehen, sondern mich selbst wohl zu fühlen und mir zu gefallen, mir damit was Gutes zu tun. Narzismus oder Selbstliebe? Vielleicht ein bisschen von beidem
Das ermöglicht mir jedenfalls, mit meinen Mitmenschen anders in Kontakt zu treten als in männlicher Aufmachung. Dabei ist es wichtig, durch meine Wohlfühlkleidung authentischer auftreten zu können als ohne. Und da kommt auch das Korsett wieder ins Spiel, selbst dann, wenn es unsichtbar unter der Kleidung verborgen bleibt (verrückt, oder?).
Es offen sichtbar zu tragen - dazu fehlt mir der Mut. Immer noch.
Oder die Gelegenheit.
Oder fehlt mir nur ein alltagstauglicheres Korsett, so wie es hier bereits gezeigt wurde?
Danke für die Inspiration an alle, die hier Bilder eingestellt haben!
LGL
Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt.
Blaise Pascal