Verfassungsblog: Verfassungswidrige Sprachverbote
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Jaddy
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Verfassungsblog: Verfassungswidrige Sprachverbote

Post 1 im Thema

Beitrag von Jaddy »

Ein sehr interessanter Artikel im Verfassungsblog von Ulrike Lembke: "Verfassungswidrige Sprachverbote" über das von der desginierten hessischen Landesregierung im Eckpunktepapier angekündigte Verbot geschlechtergerechter Sprache mit Sonderzeichen aka "Genderverbot".

tl;dr
  1. Der Staat und seine Organe sind zur Gleichbehandlung aller Geschlechter verpflichtet, auch sprachlich. Das ist seit Mitte der 1980er klar und vielfach auch in Verordnungen erklärt.
  2. Das BVerfG hat entschieden, dass auch nichtbinäre Menschen explizit rechtlich anerkannt werden müssen. Das betrifft auch sprachliche Inklusion. Auch wenn dieses Gebot vielfach ignoriert wird. Der Staat muss also entsprechende Sprache "bereitstellen", sonst würde er implizit seine Organe zur Verletzung von Grundrechten zwingen.
  3. Ein Verbot bestimmter Sprachformen würde darüber hinaus tief in verfassungmässige Rechte eingreifen. Bspw. von Medien, (Hoch)schulen.
  4. Bonus: Der Rechtschreibrat hat "die Notwendigkeit geschlechtergerechter Sprache als (allein) gesellschaftliche und gesellschaftspolitische, nicht aber auch rechtliche Aufgabe fehlverstanden und wiederum konstruktive Hinweise zur Verwendung nicht-diskriminierender Amts- und Rechtsprache unterlassen". Sich staatlicherseits darauf abzustützen ist also nicht hinreichend.
Noch kürzer: Als nicht-männliche Wesen (Frauen, nichtbinäre) (nicht nur) sprachlich gleichrangig inkludiert zu werden, ist Grundrecht. Egal, wer oder wie viele etwas dagegen haben.
"Es ist wohl Zeit für die Einsicht, dass der [Rechtschreibrat] konzeptionell ungeeignet sein könnte, zu nicht-diskriminierender Amts- und Rechtssprache beizutragen. In keinem anderen Bereich würde eine Beobachtung dahingehend, dass staatliches Handeln (noch) nicht mehrheitlich verfassungskonform ist, zu der Schlussfolgerung führen können, dass dann wohl die Verfassung nicht gilt. Im demokratischen Rechtsstaat steht der Minderheiten- und Diskriminierungsschutz gerade nicht unter dem Vorbehalt, das Wohlgefallen der Mehrheit zu finden. Dies ist auch das grundlegende Missverständnis, welches den Volksbegehren gegen geschlechtergerechtes hoheitliches Sprachhandeln zugrunde liegt und von einigen politischen Parteien nach Kräften gefördert wird."
...
"Das geplante Sprachverbot in Hessen zielt auf eine der aktuell am stärksten von Diskriminierung und Gewalt betroffenen Minderheiten in Deutschland ab. Die Botschaft ist deutlich: Die Versagung des ihnen von der Verfassung garantierten Schutzes könnte Regierungsprogramm werden. Dieses Vorgehen trifft den Rechtsstaat im Kern. Die Absichtserklärung zum Erlass eines offensichtlich verfassungswidrigen Gesetzes mag primär der Abfischung des Volksbegehrens oder der Ablenkung von anderweitigen politischen Grundentscheidungen bzw. deren Unterlassen dienen, es bleibt dabei: Angekündigter Verfassungsbruch darf nicht zur politischen Normalität werden."
Falls also irgendwer nicht "gendern" bzw es anderen verbieten will, ist die Gegenfrage zwingend: Wie denn dann, oder willst du aktiv gegen verfassungsmässige Rechte von Menschen verstossen?
Michaela Smile
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Re: Verfassungsblog: Verfassungswidrige Sprachverbote

Post 2 im Thema

Beitrag von Michaela Smile »

Jaddy hat geschrieben: Fr 24. Nov 2023, 17:37 Falls also irgendwer nicht "gendern" bzw es anderen verbieten will, ist die Gegenfrage zwingend: Wie denn dann, oder willst du aktiv gegen verfassungsmässige Rechte von Menschen verstossen?
wenn also jemand nicht gendert, läuft er also Gefahr verfassungswiedrig zu handeln.
aber so wie ich das auch sehe: wenn jemand in der aktuell angewandten Form gendert, handelt er ebenso verfassungswiedrig. die aktuelle Form kennt nur 0 und 1. Also die maskuline und die Feminine.
da aber :
Jaddy hat geschrieben: Fr 24. Nov 2023, 17:37 Das BVerfG hat entschieden, dass auch nichtbinäre Menschen explizit rechtlich anerkannt werden müssen
da fehlt also eine alle ansprechende Form. (oder man lässt es einfach so wie's viele Jahrhunderte war. war vieleicht nicht unbedingt gendermäßig korrekt, aber allen war klar was gemeint ist. der Mensch eben, und nicht das Mensch oder Menschin)

ich empfinde das nämlich inzwischen wirklich diskriminieren. wenn z.B. von Kolleg*innen gesprochen wird. zum einen bin ich halt mal keine Kollegin und zum anderen erst Recht nicht einfach nur ein Kolleg. (diese Beschneidung finde ich echt zum Ko...)
Michaela
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Re: Verfassungsblog: Verfassungswidrige Sprachverbote

Post 3 im Thema

Beitrag von Jaddy »

Michaela Smile hat geschrieben: Fr 24. Nov 2023, 17:55 wenn also jemand nicht gendert, läuft er also Gefahr verfassungswiedrig zu handeln.
aber so wie ich das auch sehe: wenn jemand in der aktuell angewandten Form gendert, handelt er ebenso verfassungswiedrig. die aktuelle Form kennt nur 0 und 1. Also die maskuline und die Feminine.
... da fehlt also eine alle ansprechende Form. (oder man lässt es einfach so wie's viele Jahrhunderte war. war vieleicht nicht unbedingt gendermäßig korrekt, aber allen war klar was gemeint ist. der Mensch eben, und nicht das Mensch oder Menschin)

ich empfinde das nämlich inzwischen wirklich diskriminieren. wenn z.B. von Kolleg*innen gesprochen wird. zum einen bin ich halt mal keine Kollegin und zum anderen erst Recht nicht einfach nur ein Kolleg. (diese Beschneidung finde ich echt zum Ko...)
Es gibt neben den Sternchen auch andere Formen, die inkludieren. "Studierende", "Anwesende" zum Beispiel. Das Sternchen ist aber kein Trennzeichen. D.h. es bedeutet nicht "Kolleg und Kolleginnen", sondern, mit Böhmermanns Worten, "Kollegen, Kolleginnen und alle dazwischen und ausserhalb". Oder auch "alle, die hier kollegisch anwesend sind".

Mit der fehlenden Inklusivform hast du vollkommen recht. Vorschläge gibt es. Mit -x, mit -y, mit -ens. Die sind jedoch weder beliebter, noch im Sinne des Rechtschreibrats formal korrekt.

Mir ist eigentlich egal, welche inklusive Form irgendwer wählt. Mir kommt es darauf an, dass ich sprachlich wirklich dabei bin; ob absichtlich oder aus Gewohnheit. Wobei es natürlich ein besonders warmes Gefühl verursacht, wenn ich Absicht und Bemühen wahrnehme. Da toleriere ich auch Flüchtigkeitsfehler.

Die vergangenen Jahrhunderte... waren gar nicht so viele. Formalisiertes Hochdeutsch ist noch nicht so alt. Gebrüder Grimm (~1820) und Konrad Duden (~1870). Martin Luther hat noch völlig anders gesprochen und geschrieben - und viele Wörter einfach neu erfunden 😱. Regio- und Dialekte haben das tw völlig anders gehandhabt. Auch schriftlich. Plattdüütsch war Jahrhunderte Standardsprache im Norden und ist in vielen Varianten sehr genderneutral. Ein bestimmter Artikel für f und m, "de", einen für Dinge, "dat". Verwandt mit "the" und "that". "Een" ("one") statt "man". Usw.

Aber abgesehen davon ist nun wirklich ausführlich belegt[1], [2], [3], dass "generisches maskulin" vielleicht alle meinen will, das aber nicht wirklich tut. Heisst: Grammatisch maskuline Begriffe erzeugen überwiegend maskuline Bilder/Gedanken. Frauen fallen raus, nichtbinäre eh.

Folge: Worüber nicht explizit gesprochen wird, wird auch nicht mitgedacht. Räume, Prozesse und Produkte werden für "Mann, mittelalt, mittelgroß, mittelgesund" gemacht. Dadurch hat mindestens die Hälfte der Bevölkerung ganz reale Nachteile. Sogar Schneeräumen kann einen solchen gender bias haben [4]. (Das ganze Buch ist *mind blowing*. Lohnt sich!)

Nichtbinäre aber fallen quasi komplett raus. Ich habe eine lange Liste mit persönlich erlebten Problemen. Angefangen von gegenderten Räumen - Schwimmbäder sind für mich quasi tabu, Medizinsysteme mindestens problematisch -, Diskussionen, ob ich ein Produkt kaufen darf, bis zu regelmässig nicht funktionierenden Prozessen (meine Versicherung lässt mich 6 Monate nicht an meine Daten, ich kann mein Auto nicht abmelden, etc).

Vor allem dafür dient das Sternchen: Aufmerksam machen, dass nicht nur an "Kollegen" gedacht wird, sondern auch an die anderen 52%.

Der Hauptgedanke des zitierten Blogartikels ist jedoch: Alle, mehr als zwei Geschlechter ohne Benachteiligung respektvoll zu beachten, ist kein Tüddelkram, kein Luxus, keine Marginalie, sondern eine Grundrechtssache. Egal ob Minderheit. Wer eine nachweislich mindestens gleichwertig funktionierende Form zum Sternchen hat: Gerne. Aber das ist das Mindeste.

(Wobei es mir am liebsten wäre, wenn bei möglichst vielen Bereichen Geschlecht selbstbestimmt ge- und abgewählt werden könnte, statt von vornherein vorausgesetzt zu werden)
Svetlana L
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Re: Verfassungsblog: Verfassungswidrige Sprachverbote

Post 4 im Thema

Beitrag von Svetlana L »

Vielen Dank an Jaddy für den wirklich sehr interessanten Link. Passend dazu ein aktuelles Interview mit Bettina Kleiner, einer der Initiator_innen der kritischen Stellungnahme aus dem Hochschul-/Wissenschaftsbereich zum geplanten Genderverbot in Hessen, in der Frankfurter Rundschau.

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Hawadehre
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