es ist ja eine Weile her, dass hier etwas zum Arbeitsalltag von Trans* geschrieben wurde. Deshalb hänge ich mich an keinen alten Thread. Obendrein will ich das Thema auf MzF fokussieren. Es mag zwar insgesamt viele Gemeinsamkeiten geben, aber die Reaktionen der Umwelt auf eine Frau, die u.U. jahrzehntelang zuvor als Mann zur Arbeit kam, sind m.E. schon spezieller. Die ev. Probleme eines Transmannes mit der holden Männerwelt mögen da etwas anders sein.
Ich bin gut 8 Monate nachdem ich wusste, eine Transfrau zu sein, den konsequenten Weg nach draußen gegangen, hab meine Männerklamotten weggeschmissen und war seitdem keinen einzigen Tag mehr verkleideter Kerl. Der letzte Schritt auf dem schnellen Weg war das Coming Out im Job. Seit drei Monaten mach ich die HET und darf bald 5 Monate "Vollzeitfrau" feiern. Am Anfang hatte ich 1000 Ängste und Befürchtungen, sah überall unüberwindbare Hindernisse. Aber meine Entwicklung ging derart schnell, dass gar keine Zeit mehr blieb, mich dem Zögern und Zaudern hinzugeben. Mein Körper hatte innerhalb von Monaten einfach seinen Hormonhaushalt umgedreht und die inneren Veränderungen drangen in einem Tempo nach außen, dass ich meine Wandlung gar nicht mehr verstecken konnte, auch wenn ich es gewollt hätte. So schön es ist, so schwer fällt es manchmal, das hohe Tempo zu verdauen. Das gilt nicht nur für mich selbst, sondern besonders für meine Umwelt. Und endlich ist die Vorgeschichte zu Ende und ich komme zum Thema:
Im öffentlichen Verwaltungs-Dienst, erst recht in der IT, hab ich sehr gute Bedingungen vorgefunden. Das war mir vor dem Outing freilich nicht bewusst, denn obwohl ich seit über 15 Jahren dort arbeite und etliche ebenso lange kenne, konnte ich die Reaktionen der Leute auf diese "Sache" nicht vorhersagen. Und schon bin ich bei einem Grundproblem angekommen: Ich habe keine anderen Trans*Kontakte in diesem Zweig der Landesverwaltung, der in meiner Behörde immerhin knapp 300 und landesweit einige tausend Mitarbeiter_innen umfasst. Das stürzt nun die versammelte Führungsriege in immer neue Konflikte, weil keiner bereit ist, sich für einen "Präzedenzfall" herzugeben. Klar, wer von einem Chefs erwartet, dass Entscheidungen getroffen werden, erwartet auch vom Zitronenfalter das Auspressen selbiger Früchte, insbesondere zur Erkältungszeit. Da nutzte es wenig, die Empfehlungen zum Umgang mit Trans* von Bundes- und Landesbehörden anzuhäufen, in denen klipp und klar alles Wichtige geregelt ist. Während in anderen Behörden längst ein lebendiges Diversity-Management blüht und eigens ernannte Trans-Beauftragte Hilfe anbieten, gibt es das bei uns nicht.
Aber andere Trans* muss es geben, nur wird der Umgang mit ihnen derart im Verborgenen gehalten, dass noch nicht einmal Gewerkschaftler und Personalräte anonym davon Kenntnis haben, obgleich sie sonst über jeden noch so entfernten andersartigen Fall im Bilde sind.
So kommt es, dass ich ungeachtet geltender BVerfG-Rechtsprechung 1996, hoheitlich verbindlichem DGTI-Ausweis und Handlungsempfehlungen anderer Landes- sowie Bundesbehörden um meine Identität kämpfen muss. Dabei vergesse ich jedoch niemals, dass 99% der Leute gutwillig sind und auch die Führungskräfte grundsätzlich nichts dagegen haben - soweit sie keine Entscheidungsbefugnis besitzen. Was bleibt, ist der lange Weg über den Gesamtpersonalrat und die Gesamtfrauenvertretung. Doch da bei uns noch nicht einmal ein AGG-Mensch existiert, geschweige denn ein_e Ansprechpartner_in Trans*, hat sich auch niemand jemals mit Diversity beschäftigt. Mein Fall reißt ein (leider) neues Thema an, bei dem jede_r erstmal tief Luft holen und sich "schlau machen" muss.
Wie sich das Ganze nun auch entwickeln mag, signalisiere ich bei jeder Gelegenheit meine Bereitschaft, mich bei dem Thema einzubringen, auch die gesamte Palette an Schulungen dazu wahrzunehmen. Es wäre ziemlich albern, nur meinetwegen den ganzen Wirbel zu veranstalten. Keinesfalls sollte eine halbherzige Einzelregelung nur für mich erfunden werden, denn dafür ist schon jetzt zu viel in Bewegung gesetzt worden.
Gerade aus den Führungsetagen bin ich angesprochen worden, dass meine überraschende "Offensive" sicher nicht ohne "Nachahmer_innen" bleiben dürfte. Das Thema ist dadurch neu auf den Plan gekommen und für die meisten bin ich tatsächlich der erste "Transmensch", zu dem sie realen Kontakt haben.
Obwohl ich nun in meiner richtigen Identität authentisch, selbstbewusst (das war als Mann anders) und hormonbedingt manchmal etwas pubertär bin, mache ich mir oft die ungewollte Verantwortung bewusst, in die ich hinein geschlittert bin. Reagierte ich mal unausgeglichen und schlimmsten Falls borniert, könnte es heißen "diese eingebildeten Transleute" o.ä. Es fällt mir nicht immer leicht, mit dieser Gewissheit umzugehen.
Immerhin konnte ich bislang breite Zustimmung ernten, wenn ich z.B. darüber sprach, wie glücklich ich mich selbst schätzen darf und dass es aber leider viele gibt, die sich nicht trauen, ihre Identität zu leben, weil z.B. das Umfeld (vermeintlich) transphob sei. Das wäre für jede_n Betroffene_n ein persönliches Unglück, das zu Depressionen und schließlich zum Freitod führen könne. Anfangs war ich ebenfalls in "mörderische" Zweifel verstrickt und hab gespürt, wo ich lande, falls ich meinen eigenen Ansprüchen an die Umsetzung meines wahren Ich (insbesondere Passing) nicht genügen oder mich dem Willen einiger nahestehender Menschen in meiner Familie beugen würde. Es wäre mein Ende gewesen und ganz sicher nicht der Anfang eines neuen Lebens, das ich nun leben darf.
Viele Zuhörer_innen bekamen tatsächlich Tränen in den Augen und ich merkte daran, wie neu diese Überlegungen für sie waren. Logisch - bevor ich wusste, weshalb ich jahrzehntelang in Dunkelheit herumwankte und nur noch auf den Tod wartete, hatte ich auch keine Ahnung von Trans*, Vielfalt und Regenbogen. Das ganze Thema war ein halbes Männerleben lang komplett an mir vorbei gegangen. Umso tiefgreifender war die Erkenntnis, zu etwas zu gehören, wovon ich keinen Schimmer hatte.
Während ich als Mann in einer gewissen Anonymität dahinvegetierte, stehe ich nun plötzlich auf dem Präsentierteller - ob mir das passt oder nicht. Der Mann hätte sich in die Hosen genässt, die Frau nimmt's mit einem Lächeln. Einerseits ist mir neues Bedürfnis, auf einmal bei sämtlichen Aktivitäten vom Bowling bis zur Personalversammlung mit dabei zu sein, andererseits war es anfangs auch taktisch sinnvoll. Das Gerücht um die "neue Transfrau" hatte sich freilich schneller verbreitet als mich alle Kolleg_innen sehen konnten und wäre ich bei bestimmten Events nicht erschienen, hätte ich neuen Mutmaßungen im Stil "der/die/das traut sich nicht" Vorschub geleistet. Also hieß es in den ersten Monaten volle Kraft voraus, offensiv und sichtbar sein und bloß nicht den Anschein erwecken, sich verstecken zu wollen. Das durfte natürlich nicht übertrieben wirken, um das Gegenteil zu erreichen ("schiebt sich ständig in den Vordergrund").
Die Anfangszeit hat immense Kräfte gekostet. Manches Wochenende hab ich nur noch geheult. Nicht, weil es schlecht gelaufen wäre, sondern vor nervlicher Anspannung, die durch allerlei familiäre Konflikte nicht gerade geringer wurde. Ich traf täglich Kolleg_innen, die mich das erste Mal komplett als Frau sahen und das schuf die verrücktesten Situationen.
Inzwischen kennen mich die meisten, aber das Coming Out geht dennoch weiter. Es gibt ständig Leute, die aus der Vergangenheit auftauchen, und denen ich mich mehr oder weniger erklären muss.
Als Projektleiterin sehe ich mich als Frau mehr Druck ausgesetzt als zuvor. Hier dürfte nun einerseits der anderenorts diskutierte Umstand Wirkung zeigen, dass Männer, sobald sie optisch eine Frau vor sich sehen, automatisch versucht sind, technische Kompetenzen abzusprechen. Andererseits baue ich mir selbst Zwänge auf, in etwa "wenn das oder das schief geht bzw. der Termin nicht gehalten wird, dann heißt es, dass das vorher nie passierte, als ich noch nicht "konvertiert" war". Besonders gegenüber externen Firmen(chefs) und Vertreter_innen von Oberbehörden spüre ich dieses Knistern und frage mich, ob ich mir die neue Spannung wirklich nur einbilde.
Das schafft höhere Anforderungen an mich selbst und ich knie mich voll rein, sichere mich mehr ab als früher. Parallel dazu gibt es aber eine ausgesprochen positive Änderung in meiner Strategie: Während ich als Mann den persönlichen Kontakt verabscheute, sogar das Telefonieren hasste, wickle ich heute alles persönlich ab, was möglich und sinnvoll ist. Dadurch haben sich alte Kontakte gelockert (ich duze mich mit Leuten, mit denen ich mehr als 10 Jahre im Clinch lag) und neue Kontakte sind entstanden, die ich so vorher nie hatte. Letztere sind mir besonders wertvoll, weil ich denen nur als Frau bekannt bin. Wer mich ewig kennt, kann natürlich nicht von heute auf morgen einfach "umschalten", wobei das im Laufe der Monate erhebliche Fortschritte gemacht hat. Es gibt einige, die mir sagen, dass sie schlichtweg vergessen hätten, wie ich "vorher" ausssah. Da ich als Mann extrem fotoscheu war, stellt das in der Tat ein "Problem" dar ...
Das sind nur mal einige Stichproben zum Thema, um den Text nicht noch länger werden zu lassen - das liest ja sonst keine_r mehr.
Ich würde mich freuen, eure Erfahrungen im Job kennenzulernen, vielleicht zu den genannten Gesichtspunkten oder auch zu ganz neuen.
Was ging / geht releativ problemlos, wo musstet / müsst ihr kämpfen, wie sieht der ganz normale Alltag aus?
Immerhin führte mein neues Leben auch dazu, dass ich meinen Tagesablauf 1,5 Stunden nach vorne schieben musste,

weil ich halt im Bad morgens "etwas" länger brauche und nun zwischen drei und halb vier aufstehe ...

LG
Semele
