ich denke, die Thematik CSD ist sehr vielschichtig und es ist immer eine Frage der Perspektive.
1. Frage: Identifiziere ich mich mit den Menschen des CSD. Sind sie ein Abbild von mir ?
Ja und nein.
2a. Frage: Wenn ja, warum ?
Es sind Menschen, die wie ich irgendwo im Geschlechteruniversum unterwegs sind und sich nicht klar festlegen lassen.
2b. Frage: Wenn nein, warum nicht ?
Nein, ich habe mit der Form des Auftretens nicht viel zu tun. Es geht mir nicht darum, quitschbunt und gewagt in der Öffentlichkeit aufzutreten. Auf einer privaten Party wäre das vielleicht lustig, aber ich sehe es nicht als politische Aktion. Eine gute Provokation soll m.Mn zum Denken anregen und nicht zur Polarisierung.
3. Muss ich mich mit den CSD-Menschen identifizieren.
Für mich ein eindeutiges Nein. Auch wenn andere Menschen fragen "Bist Du auch so jemand ?" Das sind Schubladen, die nicht in meinem Kopf, sondern in dem des Frages vorherrschen.
4. Muss ich es erdulden, dass LBQABC-Menschen einen bunten Tag auf der Straße feiern ?
Na klar, es ist eine Frage der Toleranz.
5. Wird der CSD seiner Ursache des Entstehens gerecht ?
Wieder ein ja und nein. Die Ereignisse rund um Stonewall Inn waren dramatisch. Dieser ernsthafte Hintergrund kommt m.E. zu kurz. Auf der anderen Seite ist gerade das bunte Treiben ein deutliches Signal, dass man nicht auf der Ebene der Gewalt stehen geblieben ist.
6. Wo liegt für mich das Problem mit dem CSD ?
Je länger ich darüber nachdenke, um so weniger Probleme habe ich mit dem CSD. Im Text heißt es:
Ein ganz wichtiger Aspekt. Ich lehne den CSD nicht ab, auch wenn ich dort nicht in schriller Verkleidung auftreten würde. Aber letzteres ist für mich eine Stilfrage und keine grundsätzliche. Eine Identifizierung mit den Menschen dort, kann ich nur insoweit für mich feststellen, als dass in meinem Inneren eine ähnliche Grundproblematik im Kontext mit der Gesellschaft existiert. Aber das war es auch schon. "Ich werde immer dafür eintreten, dass jeder seine Meinung vertreten kann, auch wenn es nicht meine ist". Diesen Satz habe ich irgendwann einmal gehört und für mich gilt er auch hier.Jedoch dürfe diese Akzeptanz nicht durch Anbiederung an die Mehrheitsgesellschaft erreicht werden. "Sonst werden viele queere Menschen wieder für ihr Anderssein verurteilt"
Ich lehne es ab, Menschen, die auf dem CSD feiern, zu verurteilen. Ob es meiner "Sache" schadet oder nicht. Ich verurteile auch keinen Karneval und auch nicht die wöchentlichen Sportveranstaltungen, in der Menschen mit bunten Schals und Mützen, laut grölend und trinkend ihr "Unwesen" treiben. Es ist letztlich as gleiche: ein Ausbruch aus dem Korsett des eingepresst sein in alltägliche Abläufe. Ich kenne keine Kultur, in der das nicht stattfindet.
Ich denke, man muss die Wirkung des CSD nicht überbewerten. Sie findet ganz wesentlich in unseren Köpfen statt. Je gelassener wir damit umgehen, um so leichter fällt es den Menschen in unserem Umfeld, uns so zu sehen, wie wir individuell gesehen werden wollen.
Was habe ich mit dem CSD zu tun ? Ganz einfach: nichts. Nur weil dort auch Transmenschen mitlaufen, lassen sich doch keine Verbindungen herstellen. Erst durch das vehemente Ablehnen wird paradoxerweise eine Verbindung geschaffen. Denn dann habe ich das Gefühl, dass der CSD wie Honig an mir klebt. Auf eine Frage, ob ich denn auch "so jemand" wäre, kann ich nur auf das Kopfkino beim Anderen hinweisen. Gegenfrage: Sind denn alle Motoradfahrer gewalttätige Rocker ?
Der CSD bedient Klischees. Er befeuert sie sogar. Diese Erkenntnis könnte sehr hilfreich sein, eine Gesellschaft zu entwickeln. Denn wir haben alle Klischees. Auch der Begriff des "Normalos" bedient ein Klischee. Den "Normalo" gibt es nicht. Es gibt typische Eigenheiten. Das ist für mich etwas ganz anderes. Das eine beschreibt einen Menschen, das andere Eigenschaften. Das darf man nicht verwechseln. Auch wenn ich Eigenschaften besitze, die es in ähnlicher Form bei CSD-Besuchern gibt, macht mich das nicht zu einem CSD-Besucher.
Es gibt ein nettes Buch von Richard Feynman: "Kümmert es Sie, was andere Leute denken ?" Natürlich leben wir nicht im luftleeren Raum, aber zuerst muss ich die Schere erkennen, die in meinem Kopf steckt, wenn ich mich dem Urteil anderer Menschen unterwerfe. Hier steckt der größte Teil meiner Freiheit, vielleicht sogar meine ganze Freiheit.
Man kann den CSD ablehnen, aber gleichzeitig kommt dann von mir die Frage: Sind es Deine Gründe oder sind es Gründe, die von anderen Menschen kommen. Und die Antwort ist nicht leicht. Aber eine Antwort im Sinne von "Ich werde mit den CSD-Menschen gleich gesetzt" ist definitiv fremd bestimmt.