Dieses - in meinen Augen - Pseudo-Argument der Kosten für die Solidargemeinschaft finde ich immer wieder putzig, aber auch erschreckend. Putzig, weil offenbar die Relation der Kosten für geschlechtsangleichende Maßnahmen im Gesamtbudget des Kassensystems nicht klar sind. Erschreckend, weil die Sprache und Denke, neudeutsch: Narrativ, framing, priming, von rein wirtschaftlich/"liberal" ausgerichteten Interessengruppen reproduziert wird, die auf jeden Fall garantiert nicht solidarisch interessiert sind, sondern aktiv ausgerechnet bestimmte Leistungen verknappen, die tatsächlichen Verhältnisse jedoch verschweigen.
Mal zu den konkreten Zahlen. In D gibt es jährlich ~2000 GaOPs (2018: 1800). Das sind kostenmässig die größten Klopper, right? Kosten pro Fall um 20.000€. Geben wir mal pro Fall noch 5.000€ für richtig tolle Epilation bei trans Frauen drauf. Dazu kommen jene, die es bei einer Orchiektomie belassen bzw. Mastektomie bei trans Männern, was unter 10.000€ kostet (ich hab meinen Kostenvoranschlag für Orchi vom UK Essen: 9.500€ als Privatzahly inkl. 6 Tage Aufenthalt).
Also übern dicken Daumen gerechnet könnten wir 25.000€ pro Fall annehmen[1] und - ach, was solls - lass mal 3000 Fälle rechnen. Macht in Summe 75 Millionen Euro pro Jahr. Ui! Was für Zahlen. Oder?
Nein. Im Vergleich der Ausgaben der Kassen - mal nur die gesetzlichen betrachtet - findet sich so ein Betrag gar nicht wieder:

75 Mio€ sind im Gesamtbudget der gesetzlichen Kassen (239 Mia€) gerade mal 0,031%. Alle Angleichungen zusammen inkl Epilation und allen Schnickschnack machen nur 2,2% der Ausgaben für Zahnersatz aus. Oder 5% der Ausgaben für Schwangerschaften/Mutterschaft (ohne stationäre Entbindungen...). Und dafür wird ein immenser bürokratischer Minimierungsaufwand mit Gutachten, Prüfungen, Bescheiden, Widersprüchen, Anwät•innen usw getrieben - also Kosten in Form von Geld und Nerven verursacht.
OK, aber die andere 239 Mia€ sind ja alles notwendige Ausgaben, oder? Kommt drauf an. Zum Beispiel auf die Ursachen. Ich nehm mal eine heraus, die willkürlich und vermeidbar ist: Rauchen. Eine rauchende Person verursacht der Solidargemeinschaft via GKV viel höhere Kosten:
(DKFZ 2015 (PDF))Insgesamt kostet ein lebenslanger Raucher (ab dem Alter von 15 Jahren) die GKV bis zu seinem Tod 90.483 Euro, eine lebenslange Raucherin kostet 529.481 Euro. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist darauf zurückzuführen, dass Frauen in Deutschland nach wie vor weniger verdienen und ihre Erwerbstätigkeitsquote – und damit die Beitragszahlung zur GKV – deutlich niedriger ist als bei Männern.
In Summe jährlich 25 Milliarden direkte Kosten jährlich - das wären EINE MILLION KOMPLETTE TRANS-ANGLEICHUNGEN. Pro Jahr!
Diese Kosten stecken zum großen Teil in den 239 Milliarden GKV Budget. Mit anderen Worten: Irgendwas bei 25% der Kassenausgaben gehen in genau ein freiwilliges, vermeidbares, sich selbst und "die Solidargemeinschaft" schädigendes Verhalten. Ich spare mir die Rechnungen für ähnliche Bereiche wie Alkohol, Fehlernährung, Bewegungsmangel, Extremsportarten, risikoreiches Verhalten.
Das heisst: "Die Solidargemeinschaft" trägt eine Menge Folgekosten für persönliche Freiheit und auch krass dummen, risikoreichen Lebensstil.
Und ich bin der Meinung, dass das vollkommen in Ordnung ist! Diese Möglichkeit der persönlichen Freiheit ist sogar Staatsziel.
Von daher lasse ich Kostenargumente gegen freizügigere Bezahlung von Angleichungen nicht gelten. Bei unbedarften Privatpersonen kann ich wohlwollend von Unwissenheit bzgl der Zahlenverhältnisse ausgehen. Anders sieht es aus, wenn ihnen die Zahlen bekannt sind. Dann ist es entweder Ignoranz ("mir doch egal wie es dir geht"), Neid ("da kriegt wer mehr als ich") oder schlicht Transfeindlichkeit.
Interessengruppen und professionellen Meinungsmenschen, Politiker•innen und Funktionsträger•innen kann Unwissenheit nicht zugute gehalten werden, wenn sie sich zum Thema äussern. Das gebietet schon die Redlichkeit im offiziellen Diskurs. Ziemlich sicher stecken da andere Interessen hinter. Das sind zum einen wirtschaftliche - mehr Gewinne für Aktinär•innen - oder eben wieder trans- und queerfeindliche Ansichten, die mit "Kosten für die Solidargemeinschaft" verdeckt und zur Stimmungsmache genutzt werden sollen.
[Disclaimer: Ich habe 28 Jahre als Arbeitnehmx in die GKV eingezahlt und seit 4 Jahren als Freiberuflx. In Summe mehr als 150.000€. Trotzdem habe ich dank des binär augerichteten Systems meine Transition mit bisher ca 20.000€ selbst bezahlt, weil ich das Luxusprivileg habe, mir jahrelange Auseinandersetzungen mit Kassen und MDK und Gutachtys sparen zu können. Ich neide anderen nichts, was sie gezahlt bekommen, denn ich weiss, dass das Geld da wäre.]
[edit: sorry, Bild 2 fehlte]
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[1] nicht gerechnet die eingesparten Kosten für Langzeitfolgen, die durch den Leidensdruck durch eine nicht erfolgte Transition entsteht, zum Beispiel Sucht, psychische Erkrankungen, etc.