MartinaL hat geschrieben: ↑Sa 12. Nov 2022, 08:18
Ich werde, trotz meines "XX" Chromosonensatzes, immer einen männlichen Anteil besitzen, und, glaubt es oder auch nicht, es stört mich nicht
Das finde ich jetzt medizinisch sehr spannend. Der XX-Satz ist bei dir bestätigt und du bist "Vater" geworden?
Ist das bei dir das De la Chapelle Syndrom oder hast du eine Differentialdiagnose?
Und wurde dann eine Hodenbiopsie vorgenommen damit deine Partnerin schwanger werden konnte?
Ich dachte in fast allen Fällen sollte wegen Azoospermie keine Spermatogenese stattfinden?
Sorry für die Neugier..
alles Liebe Marie

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Hallo Marie.
Keine Sorge, Neugier ist was Gutes

.
Ein bisschen was hat ja weiter oben meine "große Schwester" Linde dazu geschrieben, die mich auch persönlich kennt und in Sachen Intersex unterrichtet.
Um das Ganze zu erklären muss ich etwas weiter ausholen. Ursprünglich war ja angedacht meine "Entstehungsgeschichte", die sich zum Teil sehr deutlich vom Werdegang Transsexueller unterscheidet, in einer Art Tagebuch hier im Forum zu veröffentlichen. Aber da ich hier leider zu einer Art "persona non grata" wurde habe ich davon Abstand genommen und den, bereits fast fertig geschriebenen Ablauf, zu den Akten gelegt.
Nichtsdestotrotz hast du eine Antwort auf deine Frage verdient.
Ich wurde in den frühen 60ern geboren und zuerst als Sabine im Geburtenregister geführt und bin auch die ersten beiden Jahre als Mädchen aufgezogen worden (laut Aussage meiner Patin, meine bereits verstorbenen Eltern haben nie ein Wort darüber verloren, denen war das irgendwie peinlich). Nach zwei Jahren wurde diese Entscheidung, aus welchen Gründen auch immer, revidiert und ich wurde fortan als Rainer geführt, der ich auch bis zum August 2022 blieb. In meiner Kindheit wurden Operationen im Genitalbereich an mir durchgeführt, von denen lediglich noch sehr gut verheilte Narben zeugen. Ich war bis zur Einschulung sehr oft in Krankenhäusern und danach auf Erholungskuren. Was genau an mir durchgeführt wurde lässt sich leider nicht mehr nachverfolgen, meine Eltern haben alles vor mir verschwiegen und mir auch keinerlei Erklärung zukommen lassen.
Jetzt zur "Produktion" meines Kindes: Jennifer wurde ganz normal, in einem dem Liebesakt ähnlichem, Sexrausch hergestellt

. Die Kindsmutter hatte allerdings noch mehr Verkehr mit einer, bisher unbekannten, Anzahl von Männern, von denen schlussendlich drei (mit mir) zum Vaterschaftstest vorgeladen wurden. Das Ergebnis fiel mit 95% für mich eher ungünstig aus, da wir schon lange getrennt waren. Es kam zur Gerichtsverhandlung und mir wurde die Ehre zuteil, ab sofort Zahlvater ohne Besuchsrecht zu spielen. Bei dieser Verhandlung kam ich das erste Mal mit meinem "Anderssein" in Kontakt, da der Richter, den bei meinem Testergebnis vermerkten Karyotyp XX, einfach durchstrich, mit der Bemerkung das wäre ein Tippfehler. OK, das dachte ich auch und so ging das Leben, mit deutlich weniger Geld meinerseits, eben weiter.
Viele Jahre später, ca. 2003, befand ich mich in einer Umschulungsmaßnahme und lernte die erste transsexuelle Person meines Lebens kennen, mit der ich mich auf Anhieb blendend verstand. Wir freundeten uns an und waren fortan nahezu unzertrennlich. Sie hat mich immer als Freundin wahrgenommen, obwohl ich zu der Zeit mein Bestes gab einen Mann zu spielen. Aufgund dieser Tatsache habe ich begonnen meine Frühzeit etwas genauer unter die Lupe zu nehmen und nahm Kontakt mit meiner Patin auf, mit der ich ein gutes Verhältnis hatte (im Gegensatz zum Rest meiner Familie). Im Laufe dieses Gespräches rückte sie dann mit den Geschehnissen nach meiner Geburt raus, die ich, naturgemäß, nicht mehr wusste. Zusammen mit dem Vorfall vor Gericht wurde mir nun langsam ungefähr klar, was Sache war. Ich habe trotzdem weiterhin, mit wechselndem Erfolg, den Mann gespielt bis zum Jahr 2018, da kam ich in die Pubertät

. Man muss dazu sagen, das ich nie eine Pubertät in der Kindheit hatte, eine Vermännlichung im normalen Sinne hat so nie stattgefunden, selbst das annähernd männliche Sprechen wurde mir von einer befreundeten Logopädin erst beigebracht.
Nunja, jetzt konnte, mit immerhin 56, das erste Mal mit dem regelmäßigen Rasieren begonnen werden. Auch die Talgproduktion meines Gesichtes hat den Betrieb aufgenommen und ich bekam Akne vom Feinsten, die bis heute anhält. Gleichzeitig mit der beginnenden Vermännlichung des Körpers fand eine Verweiblichung des Geistes statt, sodass ich begann, mir in China Frauenkleidung zu bestellen und diese in meiner Freizeit zu tragen. Nach ca. 2 Jahren entschloß ich mich dann doch endlich mal einen Arzt aufzusuchen, da inzwischen bei mir der typisch männliche Haarausfall begann, und den wollte ich nicht. Mit einer Überweisung zur Endokrinologie der Frauenklinik der Uni Erlangen in der Tasche, machte ich dort einen Termin in der Trans-Sprechstunde aus und kaum ein dreiviertel Jahr später war ich dort auch vorstellig. Nach einem sehr durchwachsenen Vorgespräch wurde mir Blut abgezapft und ein paar Wochen später hatte ich meine Ergebnisse mit wahrhaft furchteregenden Werten: Z.B. Testosteron bei 31,95 nmol/l, Prolaktin 557,6 ml/l oder LH 18,36 mlU/l. Dazu Östradiol im normalen, unteren weiblichen Bereich. Leider waren diese Werte kein Grund, das sich die Endokrinologie weiter damit befasst, lediglich mein Hausarzt bekam Schnappatmung

. Zusammen mit meiner, inzwischen in einem anderen Forum gefundenen, neuen Freundin und Medizinerin Dietlind starteten wir eine Art vorgezogener HET um wenigstens den extremen Testo-Wert zu drücken. So nahm ich ab April Gynokadin-Gel sowie Spironolacton bevor dann die offizielle HET der Uniklinik im August begann. Von der Uniklinik wurde auch die Humangenetische Untersuchung durchgeführt mit dem Ergebnis Karyotyp XX. Auch wurde dort bei einem MRT ein 4x4 mm großes Prolaktinom festgestellt. Meine genaue Diagnose lautet:
Intersexualität (Karyotyp XX, phänotypisch/hormonell männlich, PAIS - Partial Androgen Insensivity Syndrom), Hyperprolaktinämie.
Dieser Befund wurde meinem Hausarzt, sowie der KK (auf deren Anforderung, als Gutachten für den medizinischen Dienst zur Bewilligung der weiterführenden Behandlungen) zugesendet.
So, bevor mein, auch im Intersexbereich sehr seltener Fall, die Medizinwelt entgültig ins Schleudern bringt, hat die amerikanische Expertin Linde noch ein bisschen weitergeforscht: Da es Gentechnisch nicht möglich ist, das zweimal XX ein XY herstellen (mein Kind war ja bei der Geburt männlich), muss bei mir zwingend auch ein Mosaic Syndrom vorliegen, d.h. das bei mir nicht überall XX herrscht. Genaueres werde ich wohl erst im Januar erfahren wenn ich eine vollständige, humangenetische Untersuchung in einem Nürnberger Speziallabor durchführen lasse.
Und ja, vermutlich ist das bei mir eine Spielart des De la Chapelle Syndroms, anders ist es nicht zu erklären. Ich habe mein gesamtes Leben unter den Folgen dieses "Genfehlers" gelitten, da auch z.B. verschiedene Organe anders sind und hoffe jetzt darauf das, wenn ich meiner ursprünglichen Natur freien Lauf lassen kann, ich endlich zur Ruhe komme.
Ich danke für eure Aufmerksamkeit.
P.S.: Bitte entschuldigt die Rechtschreibfehler, ich bin etwas übernächtigt
