(wir befinden uns noch immer auf dem Landsitz, allerdings in einem anderen Raum. Zwei Personen sitzen am Kamin, sonst ist niemand anwesend)
Henri Pivot: „Madame, ich muss Ihnen einfach zu Ihrem Scharfsinn gratulieren. Sie können stolz auf sich sein. Mit Ihrer Hilfe konnte der Fall noch vor Eintreffen der Polizei aufgeklärt werden!“
Sie: „Wie könnte ich stolz sein? Ich bin hierhergekommen, um zu helfen. Jetzt sind zwei Menschen tot!“
Henri Pivot: „Meine Liebe, ich bitte Sie. Es traf immerhin keinen Unschuldigen!“
Sie: „Mein lieber Henri. Traf es denn einen Schuldigen? Zwei Menschen, die sich einstmals geliebt haben, haben sich gegenseitig zerstört. So weit konnte es nur kommen, weil diese Gesellschaft ihre Form der Liebe nicht toleriert, sondern als Verbrechen ahndet. Ohne Gesetz kein Druckmittel, ohne Druckmittel keine Erpressung, ohne Erpressung kein Mord! Wer weiß, wie sich der Charakter von Lord Cunningham entwickelt hätte, wenn der junge Mortimer sich nicht gezwungen gesehen hätte die schützende Maske eines Widerlings aufzusetzen, die mit der Zeit zu einem Teil seines Charakters geworden ist!“
Henri Pivot: „Verzeihen Sie, unter diesem Blickwinkel habe ich die Angelegenheit noch gar nicht betrachtet!“
Sie: „Mein lieber Henri, Sie müssen sich nicht entschuldigen. Wir sind alle Teil dieser Gesellschaft und unterliegen damit unbewusst den Gewohnheiten, Zwängen, Vorurteilen und Ressentiments, die das Kollektiv im Laufe der Zeit entwickelt hat. Sich dem daraus entstehenden Druck zu widersetzen kostet mehr Kraft, als sich anzupassen. Da geht es Ihnen nicht anders als der großen Mehrheit. Aber auch William und Mortimer, die definitiv darunter leiden mussten, haben nie versucht sich zu widersetzen, sondern sich so gut es ging angepasst!
Ich würde mir wünschen, dass es im nächsten Jahrtausend völlig normal sein wird, dass Männer andere Männer und Frauen andere Frauen lieben und vielleicht sogar heiraten dürfen.“
Henri Pivot: „Madame, meinen Sie, dass soetwas jemals möglich sein wird?“
Sie: „Ich fürchte auch der kühnste Seher vermag nicht vorherzusagen was in einhundert Jahren sein wird.“
Vorhang. Ende des zehnten Aktes.
Eine Frau mit Penis- ein Kopftheater in mehreren Akten - # 5
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Re: Eine Frau mit Penis- ein Kopftheater in mehreren Akten
.
Wenn ich nochmal was dazu sagen darf....
Nicht nur eine dramaturgisch interessante Geschichte...
( manchmal hat es mich auch an "Eine Leiche zum Dessert"
erinnert )
sondern auch, daß Du sozusagen alle Facetten UNSERER Problematik angesprochen und eingeschlossen hast.
Fand ich toll.
elgetina
....................................................................
Oh Mist... jetzt hab ich grad gesehen, daß ich eine neue Seite angefangen habe.
Jetzt lesen die Anderen womöglich die Geschichte nicht sondern nur meinen Kommentar.
Kann man das wieder löschen und ich schreibe es später nochmal ??
Wenn ich nochmal was dazu sagen darf....
Nicht nur eine dramaturgisch interessante Geschichte...
( manchmal hat es mich auch an "Eine Leiche zum Dessert"

sondern auch, daß Du sozusagen alle Facetten UNSERER Problematik angesprochen und eingeschlossen hast.
Fand ich toll.
elgetina

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Oh Mist... jetzt hab ich grad gesehen, daß ich eine neue Seite angefangen habe.
Jetzt lesen die Anderen womöglich die Geschichte nicht sondern nur meinen Kommentar.
Kann man das wieder löschen und ich schreibe es später nochmal ??
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Re: Eine Frau mit Penis- Zehnter Akt Epilog
Liebe Helga,
ich liebe Dein Theaterstück
Es ist so plastisch, dass sich die Personen und Örtlichkeiten deutlich vor meinem inneren Auge abzeichnen, zudem sprachlich ausgefeilt und mit viel Überraschungsmoment und Spannung geschrieben, so dass gute Unterhaltung garantiert ist.
Und dann noch Passagen wie diese
LGL
ich liebe Dein Theaterstück

Es ist so plastisch, dass sich die Personen und Örtlichkeiten deutlich vor meinem inneren Auge abzeichnen, zudem sprachlich ausgefeilt und mit viel Überraschungsmoment und Spannung geschrieben, so dass gute Unterhaltung garantiert ist.
Und dann noch Passagen wie diese
Wie wahr. Danke fürs Erinnern, gerade jetzt, wo mir die Widerstandskraft ein bisschen schwindet...Helga hat geschrieben: ↑So 6. Feb 2022, 20:22 Wir sind alle Teil dieser Gesellschaft und unterliegen damit unbewusst den Gewohnheiten, Zwängen, Vorurteilen und Ressentiments, die das Kollektiv im Laufe der Zeit entwickelt hat. Sich dem daraus entstehenden Druck zu widersetzen kostet mehr Kraft, als sich anzupassen.
LGL
Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt.
Blaise Pascal
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