Liebe Helga,
ich vermute, dass du als "Feiertagsfrau" (Bezeichnung aus deinem Profil) in der glücklichen Situation sein dürftest, ein Bewerbungsgespräch als äußerlich erkennbarer Angehöriger der priviligierten Bevölkerung (männlich + weiß + heterosexuell) zu bestehen und dein neuester Akt reines Kopfkino ist.
Dazu kann ich dich nur beglückwünschen, denn zumindest mein Erleben als TS, die keinen eindeutigen äußeren Mann mehr zur Verfügung hat, ähnelt sehr deiner Groteske. Ich habe z.Zt. das zweifelhafte Vergnügen, deinen Theater-Akt als Reality-Show zu absolvieren. Gerne hätte ich meine Erfahrungen gleichermaßen humorig in einem Einakter verpackt, aber leider bleibt mir ob der traurigen Realität selbst der schwarze Humor im Halse bzw. in den Fingern stecken. Da ich hier im öffentlichen Bereich schreibe, will ich nur wenige Details nennen.
Es geht um den Öffentlichen Dienst in einer großen, großen Stadt, den nichttechnischen Verwaltungsbereich. Da braucht es keine Ansage, eine "Frau mit Penis" zu sein. Denn der umsichtige Dienstherr hat darauf geachtet, dass Menschen von meiner Art auf ewig in der Personalakte gebrandmarkt sind. Während es in der Privatwirtschaft möglich ist, durch ein aktuelles Arbeitszeugnis auf den neuen Namen und die Änderung der wichtigsten Zeugnisse der Vergangenheit das Zwangsouting zu vermeiden, ist das im ÖD dank der
Personalakte unmöglich. Dort sind fein säuberlich alle alten Unterlagen incl. des beglaubigten Gerichtsbeschlusses zur VÄ / PÄ abgelegt, sodass ein potentieller neuer Arbeitgeber sofort im Bilde ist, was er sich da in sein sauberes Haus holen würde. Jahrelange Diskussionen mit verschiedenen Juristen haben immer das gleiche ergeben: Es gibt keinerlei gesetzliche Verpflichtung für den Dienstherrn, diesen alten Mist zu ändern, denn zum Zeitpunkt der Ausstellung dieser Unterlagen galt ja noch der alte Name, womit freilich alles rechtens ist. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass der Gerichtsbeschluss ebenso Bestandteil der Akte ist. Es gibt demnach keinen juristischen Weg, dieses Zwangsouting zu verhindern - und dass da jemand "Good will" hätte, ist ausgeschlossen, weil sich niemand für eine "Transe " aus dem Fenster lehnen und auf unsicheres Terrain begeben möchte. Juristen sind vorsichtige Menschen und lassen lieber andere crashen als selbst einen erhobenen Zeigegfinger zu kassieren.
Wobei die
Personalakte dennoch eine empfindliche Lücke aufweist: Leider wird nicht erfasst, ob diejenige bereits über eine Neovagina (große oder kleine Methode, kombiniert oder klassisch) verfügt oder noch das alte Anhängsl vorhanden ist. Aber da das im Rahmen der Pauschalisierung von "Transfrauen" ohnehin keinerlei Rolle spielt, ist das für den Dienstherrn verschmerzbar.
Auf diese Art zwangsgeoutet werde ich nun ab und an zu Vorstellungsgesprächen geladen, insoweit keine Ablehnung ohne Ansehen der Person erfolgt. Die Runde entspricht in etwa deinem Theater-Akt, mal abgesehen von der Schwerbehindertenvertretung (s.u.): Leiter der Einrichtung nebst rechter Hand, Personalratsvorsitzende(r), Frauenvertretung, Gleichstellungsbeauftragte(r).
Tatsächlich nimmt das Fachliche ungefähr die gleiche Zeit in Anspruch wie das Transspezifische - ob nun direkt oder indirekt. Es ist für mich nicht leicht vermittelbar, weshalb eine nach Aktenlage "überdurchschnittliche" Fachkraft mit Leitungsfunktion ihre Verwaltung in der "Stadt der Vielfalt", die obendrein der "Charta der Vielfalt" beigetreten ist und ein gesondertes "Diversity-Management" besitzt, verlassen will. Ich würde lügen zu behaupten, das freiwillig zu tun. Im Laufe der Jahre bin ich sozusagen "überzeugt" worden, die Behörde zu verlassen. Wenn dann weiter gebohrt wird, muss ich deutlicher werden und andeuten, dass leider in allen Bereichen etliche Leute der Meinung sind, mit meiner geänderten äußeren Identität ein "Problem" haben zu müssen. Ich weise dann auf meine ausgesprochene Dummheit hin, entgegen anderer Trans*Personen die Transition am alten Ort durchzuführen, anstatt zuvor abzutauchen, um dann Jahre später "als Frau" anderswo wieder aufzutauchen. Ich habe nun eingesehen, dass diese Verfahrensweise weitaus schlauer ist und versuche das jetzt nachzuholen.
Die Frauenvertreterin beruhige ich mit den Zusicherungen, weder die Frauenquote in Anspruch zu nehmen noch mein Recht auf Nutzung der Damentoilette geltend zu machen. Stattdessen werde ich in keinen Schutzraum von Cis-Frauen eindringen und ein genderneutrales WC aufsuchen, selbst dann, wenn ein Marsch über mehrerer Etagen quer durchs Gebäude notwendig ist. Tatsächlich könnte die WC-Frage entscheidend sein, denn bislang stieß die Frauenverteterin mit einem wahren Seufzer der Erleichterung aus, dass eine genderneutrale Toilette vorhanden sei. Wehe dem, wenn nicht ...
Selbstverständlich gebe ich keine Auskunft über die Ausformung meiner Geschlechtsteile, wie ich das überhaupt nirgendwo mache, weil es abgesehen von einem potentiellen neuen Partner, den es sowieso nicht geben wird, keinen Menschen etwas angeht. Die Frage wurde übrigens auch noch nie in diesem Rahmen gestellt. Immerhin etwas.
Nun gibt es zwei Szenarien:
Entweder gab es schon in der Vergangenheit den Fall einer Transition. Ich werde dann gleichermaßen eingetütet, wie das damals lief. Lief es schlecht, hab ich Pech und bin draußen. Lief es gut, habe ich eine Chance.
Oder ich bin die erste meiner Art und selbstverständlich kann niemand der Anwesenden in die Glaskugel schauen, ob nicht doch der ein oder andere Mensch der Stammbelegschaft meint, mit mir ein "Problem" haben zu müssen. In diesem Fall muss Rücksicht auf die Ruhe und Beschaulichkeit, sozusagen auf den
Hausfrieden, genommen werden. Niemand kann Unruhe gebrauchen und meine Person birgt definitiv das Risiko, Unruhe auszulösen.
Niemand der Anwesenden kommt auf die Idee, vielleicht mal zu sagen, dass es vollkommen
gleichgültig ist, in welcher geschlechtlichen Identität jemand lebt - erst recht auf Arbeit, wo von allen Professionalität verlangt wird. Doch offenbar umfasst diese Professionalität eben nicht, mit einem Menschen zusammenzuarbeiten, der in einem Geschlecht lebt, in dem er nicht geboren wurde. Darauf kommt noch nicht einmal ein Gleichstellungsbeauftragter! Übrigens war der Schwerpunkt der für mich zuständigen "Genderauftragten" bei der Begegnung mit einem transidenten Menschen herauszufinden, ob dieser nun eher einer Frau oder einem Mann ähneln würde ...
In meinen Augen eine Schande für den ÖD. Auf diese Art kann ich noch jahrelang von einem Gespräch zum nächsten wandern, weil sich kaum jemand freiwillig etwas ins Haus holt, mit dem er nichts zu schaffen haben will. Regenbogenfahne und Vielfalts-Gefasel sind nichts wert, solange diese Ideen nicht auch in den Verwaltungen umgesetzt werden. Und das scheint in den beiden Bundesländern, in denen ich unterwegs bin, noch gaaanz weit weg zu sein ...
Liebe Helga, du musst jetzt aber aus deinem Theaterstück keine Tragödie machen. Die würde ohnehin nicht an die Realität heranreichen.
Helga hat geschrieben: ↑Sa 1. Jan 2022, 23:53
Behindertenbeauftragter: (offensichtlich neu in dieser Funktion und mit der Situation überfordert, aber sehr bemüht) "Benötigen Sie eine spezielle Ausrüstung am Arbeitsplatz?"
Da du an Hinweisen von "Zuschauer*innen" interessiert bist:
Nach meiner Erfahrung ist eine "Schwerbehindertenvertretung" (so heißt das nach meiner Kenntnis in Anlehnung an den "Schwerbehindertenausweis") einzig anwesend, wenn es auch jemanden zu vertreten gibt. Ich habe keine Info darüber gefunden, dass deine Prota behindert ist. Insoweit dürfte auch keine Schwerbehindertenvertretung anwesend sein. Es sei denn, du wertest in deinem Stück die Transidentität als Behinderung und bist der Zeit ein wenig voraus (ICD12) ...