Alltägliche Diskriminierung
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Hilfe und Selbsthilfe
Alina 56
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Alltägliche Diskriminierung

Post 1 im Thema

Beitrag von Alina 56 »

Ihr kennt es sicher alle. Ich musste mich aber heute Abend so aufregen, dass ich es einfach weitergeben muss.
Wir saßen im kleinen Kreis zusammen, vielleicht nicht ganz Corona konform, aber dies wäre ein anderes Thema.
Langjährige Freunde. Und dann die Geschichte über den Friseurbesuch: Ja und dann kam doch so eine Transe mit hoher Stimme und.....
Ich meinte, was das solle, auch dies sei Diskriminierung und eine Denke, die ich nicht akzeptieren könnte. Na ja, Reaktion: Nanu, bist Du jetzt auch so eine!
(Sie wissen es nicht).
Ich frage mich, warum ist das so. Wir hatten früher schon ähnliche Diskussionen über andere Religionen, Flüchtlinge, und es sind fast immer die Gleichen, die diskriminieren etc. Unterschwellig mit einem Lachen es abtun, wenn Kritik kommt. Man würde es ja eigentlich gar nicht so meinen und nein, antisemitisch sei man nicht etc.
Ich finde es so schlimm. Jeder, der nicht mit der Masse mit schwimmt, wird irgendwie verfolgt. Mit Gedanken, Worten oder vielleicht sogar Taten.
Aber ich bin wohl gerade überreizt. Es ist insgesamt in Deutschland ja schon besser und toleranter geworden, nur offensichtlich in meinem wohl eher konservativen Bekanntenkreis ist dies noch nicht angekommen.
Und wie soll ich mich da je outen.
Eine traurige Alina sagt damit Gute Nacht.
Marit
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Re: Alltägliche Diskriminierung

Post 2 im Thema

Beitrag von Marit »

Guten Morgen Alina,

ich hoffe, die schlimmen Gedanken haben über Nacht ihre Wirkung etwas verloren. Morgens sieht die Welt meist besser aus.

Ich habe beim Outing die Erfahrung gemacht, dass es zwei Reaktionen gab: Umarmungen und Glückwünsche zu dem Schritt oder ja, es sei OK, wir haben keine Probleme damit usw.
Die zweite Kategorie hat in Wirklichkeit Probleme damit und gibt es nicht zu und die erste sind die richtigen Freunde. Offene Anfeindung habe ich nie erlebt außer bei meinem Vater, der seitdem nicht mehr mit mir redet. Das ist auch in Ordnung, denn nun weiß ich was ich immer vermutet habe: unser nicht so gutes Verhältnis ist nicht zu retten und auf den Smalltalk kann ich auch verzichten.

Da ich seit ein paar Wochen nur noch als Frau unterwegs bin, gab es bei mir kein Überlegen beim Outing mehr - einfach machen. Das ist ungemein befreiend und schafft Klarheit auf allen Seiten. Ich hatte allerdings den Vorteil, dass meine Frau voll dahintersteht und mich teilweise sogar vorwärtsgetrieben hat, nachdem sie erkannt hat, dass es mir so besser geht.
In deiner Situation ist es ungleich schwieriger. Ich wüßte auch nicht, wem ich was erzählen soll und wer mich vielleicht unerwartet 'erwischen' könnte. Das ist auf die Dauer extrem anstrengend.
Und in so einem Bekanntenkreis wie du ihn beschreibst damit anzufangen, benötigt einen starken Rückhalt. Den hast du entweder in dir selbst oder bei Partner_in oder Freund_innen. Damit kannst du den falschen Freunden getrost Lebewohl sagen, denn in so einer Umgebung mit solchen Sprüchen wirst du dich auf Dauer wahrscheinlich nicht wohlfühlen.

Viel Ablehnung geschieht auch aus Unwissenheit. Auch wenn in Deutschland schon viel Aufklärung betrieben wurde, staune ich doch immer wieder, welche Fragen ich bekomme. Wenn du das vermutest, hilft es vielleicht, das Outing mit einer ehrlichen Erklärung deiner Situation zu begleiten. Wer nicht gleich aufsteht und geht, ist damit oft zu gewinnen.

Bitte fasse diese Sätze nicht als Ratschläge und nicht von oben herab auf. Ich bin selbst jeden Tag auf der Suche nach dem richtigen Weg und möchte nur ein paar Anregungen zu Weiterdenken geben.

Liebe Grüße, Marit
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Re: Alltägliche Diskriminierung

Post 3 im Thema

Beitrag von Aria »

Alina 56 hat geschrieben: Mo 1. Jun 2020, 02:12 Nanu, bist Du jetzt auch so eine! 
Und was hast du darauf gesagt?

Natürlich fängt man nach solchen Kommentaren an zu überlegen, ob ein Outing das richtige wäre. Musst du halt entscheiden, was dir lieber wäre. Sich fügen, nicht outen und damit solche Freunde behalten oder, sich outen, frei sein und diese Menschen los werden.

Ganz ehrlich, ich würde auf solche Leute verzichten wollen. Gerade die, die sagen, dass die nix gegen diese oder jene hätten....aber....sind wie Wölfe im Schafspelz. Man glaubt die zu kennen, dabei kennt man nix von denen.
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Re: Alltägliche Diskriminierung

Post 4 im Thema

Beitrag von ExuserIn-2023-06-22 »

Es gibt noch sehr viele Menschen denen die Empathie fehlt. Die wird es immer geben. Ob es nun die Angst ist sich mit etwas für sie unbekanntem auseinander zu setzen oder erzkonservative Weltanschauungen oder schlichtweg die Überforderung im täglichen Stress auch mal an andere Menschen zu denken. Wohin entwickelt sich unsere Gesellschaft? Wird sie immer egoistischer? Die alltägliche Diskriminierung schleicht sich langsam ein und kann soviel zerstören. Aber die, die sie ausüben fühlen sich meist auch noch stark und wollen Anerkennung. Kritik am eigenen Verhalten wenn man diese Personen darauf anspricht fruchtet meistens nicht, weil sie sich selbst höher bewerten als ihr gegenüber. Dazu fühlen sich diese Personen unfehlbar, was eine Kritikfähigkeit weitgehen ausschließt. Ich habe es mir abgewöhnt mit lernresistenten Mitmenschen meine Zeit zu vergeuden.
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Re: Alltägliche Diskriminierung

Post 5 im Thema

Beitrag von heike65 »

Alina 56 hat geschrieben: Mo 1. Jun 2020, 02:12 Ihr kennt es sicher alle. Ich musste mich aber heute Abend so aufregen, dass ich es einfach weitergeben muss.
Wir saßen im kleinen Kreis zusammen, vielleicht nicht ganz Corona konform, aber dies wäre ein anderes Thema.
Langjährige Freunde. Und dann die Geschichte über den Friseurbesuch: Ja und dann kam doch so eine Transe mit hoher Stimme und.....
Ich meinte, was das solle, auch dies sei Diskriminierung und eine Denke, die ich nicht akzeptieren könnte. Na ja, Reaktion: Nanu, bist Du jetzt auch so eine!
(Sie wissen es nicht).
Ich frage mich, warum ist das so. Wir hatten früher schon ähnliche Diskussionen über andere Religionen, Flüchtlinge, und es sind fast immer die Gleichen, die diskriminieren etc. Unterschwellig mit einem Lachen es abtun, wenn Kritik kommt. Man würde es ja eigentlich gar nicht so meinen und nein, antisemitisch sei man nicht etc.
Ich finde es so schlimm. Jeder, der nicht mit der Masse mit schwimmt, wird irgendwie verfolgt. Mit Gedanken, Worten oder vielleicht sogar Taten.
Aber ich bin wohl gerade überreizt. Es ist insgesamt in Deutschland ja schon besser und toleranter geworden, nur offensichtlich in meinem wohl eher konservativen Bekanntenkreis ist dies noch nicht angekommen.
Und wie soll ich mich da je outen.
Eine traurige Alina sagt damit Gute Nacht.
langjährige Freunde ? und sie wissen es nicht ? Vielleicht solltest du mal darüber nachdenken . Wenn niemand den Mut hätte zu sich zu stehen, dann wäre es sicherlich für alle Betroffenen weitaus schwieriger. Also "steh auf" und mach dich frei

Topsy
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Re: Alltägliche Diskriminierung

Post 6 im Thema

Beitrag von Topsy »

heike65 hat geschrieben: Mo 1. Jun 2020, 11:44langjährige Freunde ? und sie wissen es nicht ? Vielleicht solltest du mal darüber nachdenken .
Genau mein Gedanke! Ich hatte beim Lesen auch gleich die Vermutung, dass es keine besonders tiefen Freundschaften gewesen sind. Nimm das aber nicht persönlich und korrigiere mich, falls nötig! Außerdem frage ich mich, wieso du so wenig über die Einstellung deiner "Freund*innen" wusstest. Ist es denn nicht selbstverständlich, dass man sich über viele Themen unterhält und erfährt, wie bestimmte Personen dazu stehen? Es wundert mich nur etwas.
Magdalena
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Re: Alltägliche Diskriminierung

Post 7 im Thema

Beitrag von Magdalena »

Hallo Alina,

ich würde mir überlegen, ob es wirklich die richtigen Freunde sind. Jetzt, und es kommt beim Schreiben nicht so rüber, wie sie es gesagt haben. Ich lege da auch Wert auf die Aussprache. Der Satz, "Bist du auch so Eine.", kann eine gewisse Neugierde enthalten. Und je nach dem mit welcher Betonung der Satz gesprochen wurde, tiefe Ablehnung enthalten.

Ich hatte bei Kolleginnen auch diesen Satz gehört. Es lag aber eine gewisse Neugier in der Stimme. Dann aber auch Unsicherheit, lag in der Betonung mit drin. Sie wussten nicht wie mich zu dem Thema ansprechen sollen. Es war eine unsichtbare Mauer, die wir von beiden Seiten einreißen mussten. Es ist uns gelungen. Ich habe jetzt immer Wir geschrieben. Denn die Bereitschaft muss von beiden Seiten kommen.

Deine Freunde kennst nur Du. Und nur Du kannst einschätzen, ob Du Dich ihnen öffnen kannst oder nicht. Wenn es nicht geht, dann würde ich überlegen, ob es weiterhin meine Freunde sind.

Übrigens seit dem icg mich mit den Kolleginnen ausgesprochen habe, verstehen wir uns besser als zuvor.

Viele liebe Grüße von Magdalena
Lebe jeden Tag.
Engelchen
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Re: Alltägliche Diskriminierung

Post 8 im Thema

Beitrag von Engelchen »

Alina 56 hat geschrieben: Mo 1. Jun 2020, 02:12 Und wie soll ich mich da je outen.
Lebe dein Leben - nicht dein sterben...
Wenn du solche "Freunde" hast, brauchst du keine Feinde mehr.
Ich denke im Moment bist du selber dein größter Feind - du lebst in Angst...

Wenn du frei sein willst - oute Dich und steh zu dir

Liebe Grüße
Lisa
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Alina 56
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Re: Alltägliche Diskriminierung

Post 9 im Thema

Beitrag von Alina 56 »

Grds. habt Ihre alle recht. Meine Frau ist das Problem. Ich hatte es schon geschildert. Ich weiss es nicht sicher, aber ihre Kommentare zu meinen Frauenjeans und gezupften Brauen zeigen mir, dass sie damit nicht umgehen kann.
Darum ging es mir aber auch nicht, sondern um die alltägliche, schleichende , private Diskriminierung, der widersprochen werden muss. Ich muss nicht schwarz oder Jude sein, um zu widersprechen.
Aber in dem Moment wollte ich es herausbrüllen . Oh ja. Nur mein Coming Out ist eine andere, riesige Baustelle.
Es sind im Übrigen Freunde meine Frau.

Aber ich weiss, es ist meine Schwäche, aber auch deshalb bin ich hier.
Grüße Alina
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Re: Alltägliche Diskriminierung

Post 10 im Thema

Beitrag von Alina 56 »

Was ich noch sagen wollte. Die Freunde meiner Frau sind grds. nett. Aber wie meine Frau eher konservativ.
Das ist per se ja nicht schlecht, aber bedeutet ein Mangel an Fortschritt und Verständnis für andere und das Andere. Das war mir klar, nur nicht in dieser Form. Aber deshalb breche ich nicht mit Ihnen. Nein, sie müssen mit meinem Widerspruch leben, bis sie es verstanden haben und vielleicht kann ich dabei mich auch outen.
Jaddy
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Re: Alltägliche Diskriminierung

Post 11 im Thema

Beitrag von Jaddy »

Alina 56 hat geschrieben: Mo 1. Jun 2020, 13:38Darum ging es mir aber auch nicht, sondern um die alltägliche, schleichende , private Diskriminierung, der widersprochen werden muss.
Das ist der Punkt. Ich bin da 100%ig Deiner Meinung. Nicht nur, dass ich mich selbst unwohl fühle in solch einer Umgebung - weil andere diskriminiert werden, weil ich selbst schon Mobbingopfer war, sondern auch weil es sich einschleift und verbreitet, wenn nicht widersprochen wird. Bei gruppen-/merkmalsbezogener Diskriminierung, Vorurteilen, auch wenn sie als "Witz" verpackt werden, esoterischem Unfug oder Verschwörungsmärchen. Ich wünsche Dir viel Kraft, da zu widersprechen und auch zu Dir zu stehen.
Simon(e)
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Re: Alltägliche Diskriminierung

Post 12 im Thema

Beitrag von Simon(e) »

Bei uns im Freundeskreis gibt es auch so ein Kaliber!!
Seine Ehefrau kennt meine ,, Petra,, und toleriert sie auch.
Er weiß von ,,ihr,, ,findet es ganz schlimm und möchte sie weder sehen, noch möchte er etwas
davon hören.
Es ist für ihn einfach ein NO GO und es gehört sich einfach nicht!!! PUNKT!!!
Von dem Standpunkt lässt er sich auch nicht abbringen!
Das würde sein Weltbild zerstören!!!
Kann man nichts machen!!!
Zum Glück gehört er nur zum kleinsten Freundeskreis und man sieht sich nicht so oft!
Wir haben so tolle Freunde die gerne etwas mit ,,Petra,, was nternehmen und sie in Schutz nehmen,
wenn sie was Diskriminierendes mitbekommen.


Liebe Grüße
Simon(e)
MichiWell
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Re: Alltägliche Diskriminierung

Post 13 im Thema

Beitrag von MichiWell »

Liebe Alina,

ich habe erst vor einer Woche meiner Schwester erklärt, wie ich mich tatsächlich fühle, und auch, dass ich ihr das seit unserer Kindheit schon immer erzählen wollte, aber aus Angst, sie zu verlieren, so lange verschwiegen habe. Bereits vor knapp 10 Jahren hatte ich schon mal innerlich Anlauf genommen, dies zu tun. Dann gab es aber ein Gespräch im engsten Familienkreis, bei dem es um .. oder besser gesagt über einen Menschen ging, der mit seiner Partnerin und Kind bis kurz zuvor bei uns im Haus wohnte, und sich nach dem Auszug und Umzug zu seinen Eltern als Transfrau geoutet hatte. In dem Gespräch fielen damals Äußerungen wie: "Was der damit seiner Mutter, seiner Frau und dem Kind angetan hat!" (Die Mutter selbst hatte übrigens das Ganze in unserer Stadt herumgetratscht, und ihrem Kind damit so viel Leid angetan, dass es aus der Stadt geflücht ist.) Meine Schwester, ihr Mann und meine Eltern äuserten sich da ziemlich einstimmig so negativ, dass ich für mich darin die Bestätigung sah, dass verschweigen doch besser ist. Ein paar Jahre später musste ich ins Krankenhaus, konnte keine Vorkehrungen mehr treffen, und habe mich notgedrungen meinen Eltern anvertraut. Ich war damals Single und wollte nicht, dass sie, wenn sie mir ein paar Klamotten von Zuhause holen, meine Mädels-Sachen in den Schränken finden, und sich selbst irgenwas zusammenreimen, was ich nicht mehr beeinflussen kann. Überraschenderweise hat vor allem mein Vater sehr positiv und offen reagiert, wie auch jetzt meine Schwester.

Ich will dich nicht bequatschen, dich deinen Bekannten anzuvertrauen, möchte nur aufzeigen, dass es auch ganz anders sein kann, als es uns erscheint. Das Verhalten deiner Bekannten ist selbstverständlich diskriminierend. Das steht außer Frage. Dass man aber oft so im Chor einstimmt, möchte ich als "mit den Wölfen heulen" bezeichnen. Viele Menschen fühlen sich bei etwas, was sie nicht kennen, sehr unsicher, und eine gemeinsame Position dazu schafft Sicherheit .. im Positiven wie im Negativen. Doch leider sind negative Stimmen oft schneller und lauter, dominieren das Geschehen. Ängste schüren ist einfacher, weil das Urinstinkte anspricht, während der Verstand eine Fähigkeit ist, die wir erst später erworben haben. Es erfordert eine bewusste Entscheidung, sich seinen Ängsten entgegenzustellen, ist mit Mühe verbunden, die Menschen leider zu oft scheuen. Und so dominieren leider oft die negativen Ansichten.

Daher finde ich es richtig und wichtig, sich so wie du zu verweigern, und dem etwas entgegenzustellen. Der Vorwurf: "Du bist wohl auch so ..." kommt fast zwangsläufig, und ist schwer auszuhalten. Das kann ich dir gut nachfühlen. Man muss schon darauf vorbereitet sein, in solch einer Situation etwas entgegnen zu können, ohne sich dabei um Kopf und Kragen zu reden.


Liebe Grüße
Michi
Brauchst Du Hilfe und hast niemanden zum quatschen? Dann schick mir ´ne PN!
NikolaAusR
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Re: Alltägliche Diskriminierung

Post 14 im Thema

Beitrag von NikolaAusR »

Lisa-Weber hat geschrieben: Mo 1. Jun 2020, 12:15
Alina 56 hat geschrieben: Mo 1. Jun 2020, 02:12 Und wie soll ich mich da je outen.
Lebe dein Leben - nicht dein sterben...
Wenn du solche "Freunde" hast, brauchst du keine Feinde mehr.
Ich denke im Moment bist du selber dein größter Feind - du lebst in Angst...
Hallo Alina,

vor meinem, eigentlich unserem, CO hat uns auch die Angst umgetrieben, wie unsere Freunde, Familien, mein Arbeitgeber reagieren würden.
In einem längeren Prozess haben wir uns eine Herangehensweise erschlossen.
Reife, diese auch umzusetzen hatten wir erlangt, als meine Frau diesen Satz prägte:

"Wir sollten in unserem Alter (+- 50) schön langsam erwachsen genug sein, dazu zu stehen wer und wie wir sind"

Ab da war es dann ein Selbstläufer, der natürlich situativ seine teils intensiven Herausforderungen hatte.
Beginnend mit den engsten Freunden über den Hausarzt, die Familien bis zu meinem Arbeitgeber hat es rund sieben Monate gedauert, bis die Menschen im relevanten Umfeld informiert waren.
Ab drei Monate vor dem CO beim Arbeitgeber hatte ich dann auch eine Therapeutin an meiner Seite.

Damit ist es aber längst nicht abgeschlossen. Auch jetzt, fünf Jahre nach dem ersten CO treff ich immer wieder mal auf Menschen die mich lange kennen, die (im privaten Bereich) zumeist im Buschfunk schon etwas gehört haben oder (beruflich), überrascht zugleich aber zugewandt neugierig sind, wenn ich da nach längerer Zeit mal wieder hinkomme und als Kollegen Nikola angekündigt werde.

Unterm Strich ist die Familie meiner Frau kpl. weggebrochen.
Da hatte sich aber dann auch nur das manifestiert, was vorher schon ein langes Leben lang vor sich hinköchelte.
Es ist dem gleich, was Marit (uferlos) oben über ihr Verhältnis zu ihrem Vater schrieb.

Eine Grundfeste meines Auftretens, insbesondere im öffentlichen Raum ist die Gewissheit, dass nicht ich das Problem bin, sondern die uninformierte Gesellschaft ein Problem hat.
Ich sehe es aber nicht als meine Aufgabe an, die Mutter Theresa der gesellschaftlichen Probleme an.
Da ist dann schon jedes einzelne Individuum der Spezies Homo Sapiens aufgerufen, seinen Horizont im konkreten Erlebensfall, wie dein Coming Out einen darstellt, ergebnisoffen zu reflektieren.

Diese Resilienz hab ich mir aber auch erst erarbeiten müssen.
Gelungen ist es mir dadurch, dass ich insbesondere die Art 1 bis 3 GG verinnerlicht habe.
Leitsätze zum Beschluss des Ersten Senats (BVerfG) vom 10. Oktober 2017
- 1 BvR 2019/16 -
1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) schützt die geschlechtliche Identität [...].
2. [...]
3. [...]
'Die' uns diskriminieren sind Täter.

Hier noch ein paar Links, die mich in meinem selbst- Empowerment auch ein Stück vorangebracht haben.
Hier wird auch aufgezeigt, dass wir in der Gesellschaft (zumindest nominal) nicht so alleine gelassen sind, wie wir uns oft fühlen.

http://www.hirschfeld-eddy-stiftung.de/ ... prinzipien 
http://die-erklaerung.de/ 

Ich wünsche Dir für die Zukunft immer ausreichend Kraft und Unterstützung, deinen Weg zu einem glücklichen Leben zu finden.

Liebe Grüße
Nikola

Disclaimer
'Gesellschaft' meint im Kontext dieses Fadens Individuen, die die Grundlagen friedlichen Zusammenlebens offensichtlich nicht kennen / (noch) nicht verinnerlicht haben
Wer trans* sagt muss auch cis sagen

Klar definier ich mich binär :-)
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Wally
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Re: Alltägliche Diskriminierung

Post 15 im Thema

Beitrag von Wally »

Hi Alle,

Ich habe selbst noch die Zeit erlebt, als Transsexuelle KEINERLEI Möglichkeit hatten, ein bürgerliches Leben zu führen: im CD-Outfit durfte man noch nicht mal irgendeine Behörde aufsuchen, da wurde man hochkant rausgeschmissen, und an irgendeine normale, bürgerliche Erwerbsarbeit im empfundenen Geschlecht war nicht mal im Traum zu denken. Das einzige, was da funktionierte (halbwegs gutes Aussehen vorausgesetzt), war der Gelderwerb im Rotlichtmilieu.

Warum ich das jetzt herauskrame? Die Reduktion aufs Rotlichtmilieu hatte damals entsprechende Folgen für unser Bild in der Öffentlichkeit: da Genosse Normalbürger nahezu ausschließlich im Rotlichtmilieu mit unsereins konfrontiert wurde, hat er uns eben auch mit diesem Milieu assoziiert. "Transe" war damals gleichbedeutend mit "perverse Hure".

In den 50 Jahren seitdem hat sich das radikal gewandelt. Trotzdem bleibt der alte Mechanismus auch weiterhin wirksam: unser Bild in der Öffentlichkeit wird nach wie vor von denjenigen geprägt, die sich öffentlich ZEIGEN. Und das ist - zwar Gottseidank schon viel weniger als früher, aber eben immer noch ein bißchen - tendenziell eine Negativ-Auswahl: nämlich diejenigen, die eh nix mehr zu verlieren haben, oder denen das aus irgendwelchen Gründen schnurz ist.

Das ist jetzt kein Vorwurf - weder an die Öffentlichkeit, die Crossdresser eben so einstuft, wie sie sie ganz konkret erlebt, noch an die Crossdresser selber, die sich eben wegen dieses tendenziell immer noch negativen Bildes dann nicht in die Öffentlichkeit wagen - ein Teufelskreislauf. Beides hat seine Geschichte und ist von daher verständlich - und im Übrigen ist es ja auch schon sehr viel besser geworden.

Nur: der einzige Weg, da endgültig raus zu finden, ist SICH ZEIGEN! Nur wenn gerade auch diejenigen von uns, die da wirklich noch was zu verlieren haben (Ansehen, Freundeskreis, beruflicher Erfolg usw.) die immer noch latent vorhandene Diskriminierung in Kauf nehmen, nicht darüber jammern, sondern offensiv dagegen angehen: "Seht her, ich bin transgender!" - nur dann kriegt Genosse Normalbürger irgendwann ein realistisches Bild von uns als einem normalen Bevölkerungsquerschnitt gezeigt anstatt von einer Negativauswahl; und nur dann hört die latente Diskrimininierung auch irgendwann endgültig auf.

Zur Zeit höre ich immer noch oft in diesem Zusammenhang: "Kein Problem". ZU oft, um es zu glauben: denn wenn es wirklich kein Problem wäre, müßte man das nicht so auffällig oft betonen. Aber immerhin hat dieses "Kein Problem" ja auch was Affirmatives: wir sind zwar noch lange nicht am Ziel, aber doch wenigstens auf dem richtigen Weg.

Herzliche Grüße
Wally
Herzliche Grüße
Wally
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