Re: Meine ersten Lackschuhe mit 14 (Fortsetzung)
Verfasst: Mi 29. Aug 2018, 21:24
Teil 36
Zweiter Weihnachtstag
Auf den Stephanstag freute sich Mom besonders, denn an diesem Tag musste sie für einmal nicht in der Küche stehen, denn wir waren bei der Schwester von Mom, meiner Tante und Patin Heidrun, eingeladen. Auch mein Onkel Philipp mit seiner Familie war da. Mit allen Cousinen und Cousins gab das elf Personen.
Ich hatte ein bisschen Bammel vor diesem Tag, denn wie würden all die Verwandten auf meine Veränderung reagieren, vorallem die beiden Cousins, die fast gleich alt waren wie ich?
Mom wünschte sich, dass ich nicht zu sehr aufgetakelt an dieses Essen mitkommen solle. Artig wie ich (beinahe) immer war, entschied ich mich für meine edlen Jeans, eine hübsche, weisse Bluse und einen meiner Lieblingspullover, den fuchsiafarbenen mit Glitzergarn. Unter die Jeans zog ich mir hautfarbene Feinstrumpfhosen an, als Schuhe wählte ich die schwarzen Ballerinas, die ich aber erst vor Ort anziehen würde, damit ich nicht den ganzen Tag in den Winterstiefeln verbringen musste. Als Ohrschmuck wählte ich für diesen Tag nur die kleinen Ringe, Lauras Halskette und ein Armband. Geschminkt habe ich mich nur dezent, die Fingernägel lackierte ich blass rosa. Die Haare band ich wieder einmal zu einem Pferdeschwanz.
Mom gab ihr Ok, als ich mich ihr präsentierte. "Das hast du gut gemacht", war ihr Kommentar. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
Über zwei Stunden dauerte die Autofahrt, ehe wir bei Tante Heidrun ankamen. Wir waren die letzten, die ankamen, hatten aber auch die längste Anreise und viele Baustellen auf der Autobahn.
Mom läutete und trat ohne zu warten bis jemand kam um die Tür zu öffnen einfach ein. Dad und ich folgten. Im grossen Flur des Einfamilienhauses kam es zur grossen Begrüssung. Tante Heidrun, die mich als erste begrüssen wollte, stutzte und fragte etwas unsicher:
"Bist du das, Daniel? Was ist denn bloss mit dir geschehen. Du sieht ja sehr mädchenhaft aus."
Da ergriff Mom das Wort, unterbrach das Begrüssungsszenario und erklärte:
"Wir, oder besser Dani, wird euch gleich alles erklären. Aber lasst uns erst mal eintreten und Platz nehmen."
Wir entledigten uns der Mäntel und Schals, ich wechselte die Winterstiefel gegen die Ballerinas. Meine Cousinnen und Cousins, die alles ganz genau beobachteten, standen mit offenem Mund da und starrten mich völlig entsetzt an, wie wenn ein Alien vor ihnen stehen würde.
Tante Heidrun führte die ganze Gesellschaft ins riesige Wohnzimmer, wo alle Platz nahmen. Ich setzte mich etwas seitlich mit aneinandergelegten Beinen auf einen Hocker. Alle warteten gespannt darauf, dass ich etwas sagen würde. Tante Heidrun unterbrach die Stille und fragte in die Runde, wer was zum Apéritif trinken wolle und zählte auf, was sie alles anzubieten hätte.
Die Erwachsenen wählten einen alkoholischen Drink, wir Jugendlichen bekamen frisch gepressten Orangensaft. Greta, die Tochter von Heidrun, die zwei Jahre älter war als ich, half ihrer Mutter beim Ausschenken der Getränke.
Alle prosteten sich gegenseitig zu und wünschten sich Frohe Weihnachten. Als Mathegenie stellte ich dann folgende Frage in die Runde: "Wenn jeder mit jedem richtig angestossen hätte, wie oft hätten dann die Gläser geklirrt?"
Betretenes Schweigen und ratloses einander ansehen. Nur Cousin Torsten antwortete nach kurzem Überlegen: "110 Mal."
Viele schauten Torsten verblüfft an und Onkel Benno, der Vater von Torsten, wollte wissen, wie er auf 110 gekommen sei.
Bevor Torsten antworten konnte, sagte ich: "110 ist nicht richtig, es sind 55", und rechnete es den anderen vor: "11 Leute mal 11 minus 1 gleich 10 und das Ganze durch 2, also nochmals zum Mitschreiben: 11 mal 10 durch 2 gleich 55. Lernt man bei uns in der Schule", ergänzte ich dann noch etwas schnippisch.
Torsten: "Da war ich auf dem richtigen Weg, das hatten wir bei uns auch."
"Du hast bloss vergessen durch 2 zu dividieren, weil eine Person nicht mit sich selber anstossen kann."
"Wir sind hier aber hier nicht in der Schule", unterbrach Tante Renate die hochwissenschaftliche Unterhaltung. "Wir würden jetzt gerne wissen, warum du wie ein Mädchen daherkommst."
Ja, und so begann ich ihnen meine Geschichte zu erzählen, wie es begonnen und im vergangenen Jahr immer mehr konkretisiert hatte. Mehr oder weniger ausführlich berichtete ich über den Karneval, die diversen Outings, die Termine in der Uniklinik, die Veränderungen an meinem Körper und wie es mir zurzeit so gehe. Laura und Flo erwähnte ich nur am Rande. Alle hörten gespannt zu, niemand unterbrach mich.
"Das wär"™s, noch Fragen?", beendete ich meine Ausführungen.
Greta ergriff das Wort und sagte, dass sie es schade fände, dass ich nicht mit Rock oder Kleid hierhergekommen sei, sie hätte gerne gesehen, wie ich darin aussähe.
"Ja, das würde mich auch interessieren", ergänzte Tante Renate. "Hast du keine anderen Klamotten mitgebracht?"
"Nein, Mom meinte, dass ich mich nur ganz einfach kleiden sollte für heute. Das nächste Mal vielleicht."
Eine angeregte Diskussion ging los und alle redeten wild durcheinander. Sophie, die 1 Jahr ältere Cousine, und Greta setzen sich zu mir und wollten noch viele Details wissen. Es war laut im Wohnzimmer.
"Mama, wann gibt"™s das Mittagsessen? Können wir noch ein bisschen rauf in mein Zimmer?"
"Ja, geht nur. Es dauert noch gut eine Stunde bis wir essen können. Ich rufe euch, wenn es soweit ist."
"Danke", und wir drei Mädchen gingen hoch in Gretas Zimmer. Sie beiden Jungs verabschiedeten sich in Torstens Zimmer, um am Computer zu spielen.
"Du hast vorhin gesagt, dass dich die meisten Dani rufen würden. Mir gefällt aber Daniela viel besser", war das erste, was Sophie in Gretas Zimmer sagte.
"Mir auch, aber es ist mir eigentlich egal. Ich finde es aber schön, wenn du mich Daniela nennst."
"Was trägst du denn so in der Schule und in der Freizeit?", wollte Greta wissen.
Ich zählte meine Outfits auf, die mir gerade in den Sinn kamen.
Sophie: "Darfst du auch Schuhe mit Absätzen tragen?"
"Ja, aber nicht in die Schule."
"Meine Mama hat es mir verboten. Ich habe nur eine Sandelette mit einem 1-cm-Absatz. Wie du liebe ich Ballerinas. Davon habe ich mehrere in verschiedenen Farben. Meistens trage ich aber Turnschuhe oder Sneakers", plauderte Sophie munter drauf los.
"Und du, Greta?"
"Ich habe zwei Paar mit hohen Absätzen", ging zur Schuhkommode und holte die Dinger hervor. Ich erkannte beim näheren Betrachten, dass sie Grösse 39 hatten.
"Ich habe auch Grösse 39", sagte ich.
"Oh, gut, "¦ los zieh die ganz hohen einmal an und zeig uns, wie du darin gehen kannst!"
Ich liess mich nicht zwei Mal bitten, schlüpfte in die Pumps mit etwa 8-cm-Absatz und stolzierte im Zimmer hin und her.
Sophie staunte nur und wollte die Pumps auch mal anprobieren. Sie waren ihr aber zu gross, so dass sie darin nicht richtig gehen konnte.
Da kam Greta in den Sinn, dass sie im Keller noch ein altes Paar für die Schuhsammlung liegen hätte, Grösse 37, die Sophie passen müssten. Sagte es und ging sie holen.
Die alten Pumps mit Blockabsatz waren "šnur"˜ etwa 6 cm hoch. Sophie gefielen sie aber auch so, zog sie an und ging im Zimmer auf und ab.
"Du kannst das aber schon sehr gut", sagte ich bewundernd zu ihr.
"Ich übe manchmal mit den Schuhen von Mama, wenn niemand zu Hause ist", und lächelte verschmitzt. "Sie hat Grösse 38 und mit Socken geht"™s."
Greta sah, dass Sophie richtig aufblühte. "Wenn du willst, kannst du sie behalten."
"Das wird Mama nicht erlauben."
"Weisst du was, behalte sie an wenn wir runter zum Essen gehen. Dann schauen wir mal, was deine Eltern sagen."
Sophie lachte und strahlte.
"Und dich will ich in einem Kleid sehen!", wendete sich Greta nun zu mir. Sie öffnete ihren Kleiderschrank und sagte: "Da hast du freie Auswahl. Irgendeines, das dir gefällt, wird dir schon passen."
Es war eine wahre Freude den Schrank zu durchstöbern. Greta hatte nicht allzu viele Kleider, denn sie hätte meistens Hosen an, wie sie uns erklärte. Aber zwei, drei Kleider gefielen mir schon. Ich entschied mich für ein türkisblaues Kleid mit Puffärmeln und abgestuftem Rockteil, ein Teil wie ich es selber nicht hatte.
Raus aus dem Pulli, der Bluse und der Hose und schon stand ich in Unterwäsche vor meinen Cousinen. Greta staunte, dass unten fast nichts zu sehen sei und dass ich bereits einen so grossen Busen hätte. Ich zeigte ihr dann die BH-Einlagen, so dass die beiden sehen konnten, dass die Brüste noch sehr klein, aber schon deutlich erkennbar waren.
Ich zog mir das Kleid über, betrachtete mich im Spiegel und sagte: "Mit schwarzer Strumpfhosen sähe es besser aus."
"Kein Problem." Greta holte eine schwarze Feinstrumpfhose aus einer Schublade und gab sie mir. "Los, zieh diese an!"
Ich zog das Kleid nochmals aus, schlüpfte aus meiner Strumpfhose und streifte mir äusserst gekonnte die schwarze über. Bewundernde Blicke konnte ich bei meinen Cousinen ausmachen.
Mit dem Kleid und den Pumps sah das wirklich super aus, wie ich im Spiegel sehen konnte.
Da Sophie und Greta bereits Kleider trugen, rundete ich das Bild nun ab.
"Kommst du so zum Essen?", wollte Sophie wissen.
"Nein, kann ich nicht, der rosafarbene Haargummi passt nicht", erwiderte ich scherzend. Ohne ein Wort zu sagen, klaubte Greta aus ihrer Sammlung ein türkisfarbenes Haarband heraus und gab es mir kommentarlos."
"Ja, so geht es", sagte ich triumphierend, nachdem ich getauscht hatte.
Dann motzte Greta: "Aber mit rosafarbenen Fingernägeln wird das nichts", und holte türkisfarbenen Nagellack hervor.
"Reicht denn die Zeit bis zum Essen?", wollte ich wissen, "die müssen doch richtig trocknen."
Greta öffnete die Tür und schrie ins Wohnzimmer runter: "Wie lange haben wir noch Zeit bis zum Essen?"
"Noch eine gute halbe Stunde", rief Tante Heidrun hinauf.
"Das reicht." Gerda bemalte meine Fingernägel links, Sophie die rechts.
Sophie war die einzige, die die Fingernägel nicht lackiert hatte.
"Willst du deine auch lackiert bekommen?"
"Ja, gerne."
Sophie trug ein bordeauxrotes Kleidchen, Greta fand den passenden Nagellack dazu und lackierte ihrer jüngeren Cousine die Fingernägel.
"Darfst du sie dir nie lackieren?", fragte ich Sophie.
"Doch, aber nicht für die Schule. Nur in den Ferien."
"Da wird deine Mama schön staunen, lackierte Fingernägel und hohe Schuhe."
"Ich bin ganz aufgeregt, was sie sagen wird. Hoffentlich ist sie mir nicht böse."
"Keine Angst, da holen wir dich schon raus", beruhigte ich Sophie, die in ihrem Kleid, den weissen Strumpfhosen und den Pumps wie eine kleine Prinzessin aussah.
Die Fingernägel waren getrocknet als von unten gerufen wurde: "Kinder, runter kommen, Essen steht auf dem Tisch."
Wir warteten bis Torsten und Ruben sich nach unten begeben hatten, damit wir die uneingeschränkte Aufmerksamkeit bekommen würden. Und so schritten wir ganz schön stolz und majestätisch die Treppe hinunter.
Anerkennende Blicke waren uns sicher, nur Renate, die Mama von Sophie, verzog ein bisschen ihr Gesicht, bequemte sich dann aber doch noch zu einem aufmunternden Lächeln wie sie ihre Tochter so glücklich auftreten sah.
Greta nahm Renate allen Wind aus den Segeln als sie zu ihr bemerkte: "Renate, lass Sophie heute doch diesen Spass. Sie wird bestimmt keine bleibenden Schäden davontragen."
Sophies Papa, Onkel Kurt, auch mein Patenonkel, nahm seine Tochter in den Arm und sagte aufmunternd zu ihr: "Wunderschön siehst du aus, mein Schatz. Wo hast du mit hohen Absätzen so gut gehen gelernt?"
"Sie übt zu Hause mit den meinigen!", antwortete Renate bevor Sophie den Mund aufmachen konnte, schaute ihre Tochter an und sagte: "Meinst du, ich hätte es nicht gemerkt?"
"Mama, Greta hat mir diese Pumps geschenkt, weil sie ihr zu klein geworden sind. Darf ich sie behalten?"
"Ja, mein Engelchen, aber du musst versprechen, sie nicht zur Schule und nur zu besonderen Anlässen anzuziehen."
"Versprochen, Mama, danke." Sophie ging auf ihre Mama zu und umarmte sie.
Die Situation war für Sophie gerettet.
Das Interesse galt nun mir, im türkisfarbenen Kleid. Heidrun war die erste, die ihre Meinung loswurde: "Dani, mir fehlen die Worte, du siehst entzückend aus."
Weitere Komplimente folgten, nur die beiden Cousins sagten keinen Ton.
Die sechs Erwachsenen sassen am grossen Esszimmertisch, wir fünf Kinder am Gartentisch, der aufgestellt worden war, aber nicht minder schön dekoriert war.
Greta bekam einen grossen Applaus als ihre Mutter bekannt gab, dass Greta die Tischdeko ganz alleine aufgebaut und die Tische gedeckt hatte.
Immer wenn wir zu Weihnachten bei Tante Heidrun und Onkel Benno eingeladen waren, gab es traditionsgemäss als Hauptgang Gans mit Rotkohl und Klössen. Eine Tomatensuppe und ein Crevettensalat waren diesmal die Vorspeisen, eine Eistorte das Dessert.
An diesem Familientreffen schenkte man sich gegenseitig nichts, nur die Patenkinder bekamen vom jeweiligen Paten ihr Geschenk. Kurt, mein Patenonkel, überreichte mir nach dem Essen auch im Namen von Tante Renate ein grosses Weihnachtspaket. Im Vorfeld hatte sich Renate bei Mom erkundigt, was sie mir schenken könnten, wie ich im Nachhinein erfahren habe. Weil Mom natürlich nichts verraten wollte, empfahl sie Renate mir einen iPod zu kaufen.
Ich öffnete das Geschenk und freute mich über den iPod. Ich ging auf Kurt und Renate zu, umarmte diese und bedankte mich ganz herzlich.
Auch die anderen Kinder bekamen ihre Geschenke. Mom, die die Patin von Greta war, schenkte ihrem Patenkind, den Pullover, den sie sich gewünscht hatte und 100 Euro.
Nach der Bescherung spielte Greta noch zwei Stücke auf der Geige und Torsten zwei Weihnachtslieder auf dem Klavier.
Der Nachmittag klang mit Kaffee oder Tee und Kuchen langsam aus. Beim Eindunkeln löste sich das Familientreffen allmählich auf und man versprach sich (wie jedes Jahr), dass man sich mal unter dem Jahr treffen könnte, was dann aber fast immer nie der Fall war, wohnten die Familien einfach zu weit auseinander.
Vor der Verabschiedung bat ich Greta mit mir in ihr Zimmer zu kommen, damit ich mich umziehen könne. "Das Kleid kannst du behalten, mir ist es eh ein bisschen zu eng geworden, die Heels musst du aber hier lassen."
Mit einem herzhaften Kuss auf die Lippe bedankte ich mich bei meiner Cousine und rannte rasch hinauf in ihr Zimmer, um die Schuhe zu wechseln und meine Bluse, den Pulli und die Hose zu holen. In der Garderobe wechselte ich die Schuhe nochmals und zog die warmen Winterstiefel an. Greta gab mir noch eine grosse Papiertüte, in der ich meine Klamotten verstauen konnte.
Kurz und schmerzlos war die gegenseitige Verabschiedung, bei welcher man noch vereinbarte, dass das Essen im kommenden Jahr bei Renate und Kurt stattfinden würde.
(Fortsetzung, wahrscheinlich die zweiletzte, folgt; Jessy)
Zweiter Weihnachtstag
Auf den Stephanstag freute sich Mom besonders, denn an diesem Tag musste sie für einmal nicht in der Küche stehen, denn wir waren bei der Schwester von Mom, meiner Tante und Patin Heidrun, eingeladen. Auch mein Onkel Philipp mit seiner Familie war da. Mit allen Cousinen und Cousins gab das elf Personen.
Ich hatte ein bisschen Bammel vor diesem Tag, denn wie würden all die Verwandten auf meine Veränderung reagieren, vorallem die beiden Cousins, die fast gleich alt waren wie ich?
Mom wünschte sich, dass ich nicht zu sehr aufgetakelt an dieses Essen mitkommen solle. Artig wie ich (beinahe) immer war, entschied ich mich für meine edlen Jeans, eine hübsche, weisse Bluse und einen meiner Lieblingspullover, den fuchsiafarbenen mit Glitzergarn. Unter die Jeans zog ich mir hautfarbene Feinstrumpfhosen an, als Schuhe wählte ich die schwarzen Ballerinas, die ich aber erst vor Ort anziehen würde, damit ich nicht den ganzen Tag in den Winterstiefeln verbringen musste. Als Ohrschmuck wählte ich für diesen Tag nur die kleinen Ringe, Lauras Halskette und ein Armband. Geschminkt habe ich mich nur dezent, die Fingernägel lackierte ich blass rosa. Die Haare band ich wieder einmal zu einem Pferdeschwanz.
Mom gab ihr Ok, als ich mich ihr präsentierte. "Das hast du gut gemacht", war ihr Kommentar. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
Über zwei Stunden dauerte die Autofahrt, ehe wir bei Tante Heidrun ankamen. Wir waren die letzten, die ankamen, hatten aber auch die längste Anreise und viele Baustellen auf der Autobahn.
Mom läutete und trat ohne zu warten bis jemand kam um die Tür zu öffnen einfach ein. Dad und ich folgten. Im grossen Flur des Einfamilienhauses kam es zur grossen Begrüssung. Tante Heidrun, die mich als erste begrüssen wollte, stutzte und fragte etwas unsicher:
"Bist du das, Daniel? Was ist denn bloss mit dir geschehen. Du sieht ja sehr mädchenhaft aus."
Da ergriff Mom das Wort, unterbrach das Begrüssungsszenario und erklärte:
"Wir, oder besser Dani, wird euch gleich alles erklären. Aber lasst uns erst mal eintreten und Platz nehmen."
Wir entledigten uns der Mäntel und Schals, ich wechselte die Winterstiefel gegen die Ballerinas. Meine Cousinnen und Cousins, die alles ganz genau beobachteten, standen mit offenem Mund da und starrten mich völlig entsetzt an, wie wenn ein Alien vor ihnen stehen würde.
Tante Heidrun führte die ganze Gesellschaft ins riesige Wohnzimmer, wo alle Platz nahmen. Ich setzte mich etwas seitlich mit aneinandergelegten Beinen auf einen Hocker. Alle warteten gespannt darauf, dass ich etwas sagen würde. Tante Heidrun unterbrach die Stille und fragte in die Runde, wer was zum Apéritif trinken wolle und zählte auf, was sie alles anzubieten hätte.
Die Erwachsenen wählten einen alkoholischen Drink, wir Jugendlichen bekamen frisch gepressten Orangensaft. Greta, die Tochter von Heidrun, die zwei Jahre älter war als ich, half ihrer Mutter beim Ausschenken der Getränke.
Alle prosteten sich gegenseitig zu und wünschten sich Frohe Weihnachten. Als Mathegenie stellte ich dann folgende Frage in die Runde: "Wenn jeder mit jedem richtig angestossen hätte, wie oft hätten dann die Gläser geklirrt?"
Betretenes Schweigen und ratloses einander ansehen. Nur Cousin Torsten antwortete nach kurzem Überlegen: "110 Mal."
Viele schauten Torsten verblüfft an und Onkel Benno, der Vater von Torsten, wollte wissen, wie er auf 110 gekommen sei.
Bevor Torsten antworten konnte, sagte ich: "110 ist nicht richtig, es sind 55", und rechnete es den anderen vor: "11 Leute mal 11 minus 1 gleich 10 und das Ganze durch 2, also nochmals zum Mitschreiben: 11 mal 10 durch 2 gleich 55. Lernt man bei uns in der Schule", ergänzte ich dann noch etwas schnippisch.
Torsten: "Da war ich auf dem richtigen Weg, das hatten wir bei uns auch."
"Du hast bloss vergessen durch 2 zu dividieren, weil eine Person nicht mit sich selber anstossen kann."
"Wir sind hier aber hier nicht in der Schule", unterbrach Tante Renate die hochwissenschaftliche Unterhaltung. "Wir würden jetzt gerne wissen, warum du wie ein Mädchen daherkommst."
Ja, und so begann ich ihnen meine Geschichte zu erzählen, wie es begonnen und im vergangenen Jahr immer mehr konkretisiert hatte. Mehr oder weniger ausführlich berichtete ich über den Karneval, die diversen Outings, die Termine in der Uniklinik, die Veränderungen an meinem Körper und wie es mir zurzeit so gehe. Laura und Flo erwähnte ich nur am Rande. Alle hörten gespannt zu, niemand unterbrach mich.
"Das wär"™s, noch Fragen?", beendete ich meine Ausführungen.
Greta ergriff das Wort und sagte, dass sie es schade fände, dass ich nicht mit Rock oder Kleid hierhergekommen sei, sie hätte gerne gesehen, wie ich darin aussähe.
"Ja, das würde mich auch interessieren", ergänzte Tante Renate. "Hast du keine anderen Klamotten mitgebracht?"
"Nein, Mom meinte, dass ich mich nur ganz einfach kleiden sollte für heute. Das nächste Mal vielleicht."
Eine angeregte Diskussion ging los und alle redeten wild durcheinander. Sophie, die 1 Jahr ältere Cousine, und Greta setzen sich zu mir und wollten noch viele Details wissen. Es war laut im Wohnzimmer.
"Mama, wann gibt"™s das Mittagsessen? Können wir noch ein bisschen rauf in mein Zimmer?"
"Ja, geht nur. Es dauert noch gut eine Stunde bis wir essen können. Ich rufe euch, wenn es soweit ist."
"Danke", und wir drei Mädchen gingen hoch in Gretas Zimmer. Sie beiden Jungs verabschiedeten sich in Torstens Zimmer, um am Computer zu spielen.
"Du hast vorhin gesagt, dass dich die meisten Dani rufen würden. Mir gefällt aber Daniela viel besser", war das erste, was Sophie in Gretas Zimmer sagte.
"Mir auch, aber es ist mir eigentlich egal. Ich finde es aber schön, wenn du mich Daniela nennst."
"Was trägst du denn so in der Schule und in der Freizeit?", wollte Greta wissen.
Ich zählte meine Outfits auf, die mir gerade in den Sinn kamen.
Sophie: "Darfst du auch Schuhe mit Absätzen tragen?"
"Ja, aber nicht in die Schule."
"Meine Mama hat es mir verboten. Ich habe nur eine Sandelette mit einem 1-cm-Absatz. Wie du liebe ich Ballerinas. Davon habe ich mehrere in verschiedenen Farben. Meistens trage ich aber Turnschuhe oder Sneakers", plauderte Sophie munter drauf los.
"Und du, Greta?"
"Ich habe zwei Paar mit hohen Absätzen", ging zur Schuhkommode und holte die Dinger hervor. Ich erkannte beim näheren Betrachten, dass sie Grösse 39 hatten.
"Ich habe auch Grösse 39", sagte ich.
"Oh, gut, "¦ los zieh die ganz hohen einmal an und zeig uns, wie du darin gehen kannst!"
Ich liess mich nicht zwei Mal bitten, schlüpfte in die Pumps mit etwa 8-cm-Absatz und stolzierte im Zimmer hin und her.
Sophie staunte nur und wollte die Pumps auch mal anprobieren. Sie waren ihr aber zu gross, so dass sie darin nicht richtig gehen konnte.
Da kam Greta in den Sinn, dass sie im Keller noch ein altes Paar für die Schuhsammlung liegen hätte, Grösse 37, die Sophie passen müssten. Sagte es und ging sie holen.
Die alten Pumps mit Blockabsatz waren "šnur"˜ etwa 6 cm hoch. Sophie gefielen sie aber auch so, zog sie an und ging im Zimmer auf und ab.
"Du kannst das aber schon sehr gut", sagte ich bewundernd zu ihr.
"Ich übe manchmal mit den Schuhen von Mama, wenn niemand zu Hause ist", und lächelte verschmitzt. "Sie hat Grösse 38 und mit Socken geht"™s."
Greta sah, dass Sophie richtig aufblühte. "Wenn du willst, kannst du sie behalten."
"Das wird Mama nicht erlauben."
"Weisst du was, behalte sie an wenn wir runter zum Essen gehen. Dann schauen wir mal, was deine Eltern sagen."
Sophie lachte und strahlte.
"Und dich will ich in einem Kleid sehen!", wendete sich Greta nun zu mir. Sie öffnete ihren Kleiderschrank und sagte: "Da hast du freie Auswahl. Irgendeines, das dir gefällt, wird dir schon passen."
Es war eine wahre Freude den Schrank zu durchstöbern. Greta hatte nicht allzu viele Kleider, denn sie hätte meistens Hosen an, wie sie uns erklärte. Aber zwei, drei Kleider gefielen mir schon. Ich entschied mich für ein türkisblaues Kleid mit Puffärmeln und abgestuftem Rockteil, ein Teil wie ich es selber nicht hatte.
Raus aus dem Pulli, der Bluse und der Hose und schon stand ich in Unterwäsche vor meinen Cousinen. Greta staunte, dass unten fast nichts zu sehen sei und dass ich bereits einen so grossen Busen hätte. Ich zeigte ihr dann die BH-Einlagen, so dass die beiden sehen konnten, dass die Brüste noch sehr klein, aber schon deutlich erkennbar waren.
Ich zog mir das Kleid über, betrachtete mich im Spiegel und sagte: "Mit schwarzer Strumpfhosen sähe es besser aus."
"Kein Problem." Greta holte eine schwarze Feinstrumpfhose aus einer Schublade und gab sie mir. "Los, zieh diese an!"
Ich zog das Kleid nochmals aus, schlüpfte aus meiner Strumpfhose und streifte mir äusserst gekonnte die schwarze über. Bewundernde Blicke konnte ich bei meinen Cousinen ausmachen.
Mit dem Kleid und den Pumps sah das wirklich super aus, wie ich im Spiegel sehen konnte.
Da Sophie und Greta bereits Kleider trugen, rundete ich das Bild nun ab.
"Kommst du so zum Essen?", wollte Sophie wissen.
"Nein, kann ich nicht, der rosafarbene Haargummi passt nicht", erwiderte ich scherzend. Ohne ein Wort zu sagen, klaubte Greta aus ihrer Sammlung ein türkisfarbenes Haarband heraus und gab es mir kommentarlos."
"Ja, so geht es", sagte ich triumphierend, nachdem ich getauscht hatte.
Dann motzte Greta: "Aber mit rosafarbenen Fingernägeln wird das nichts", und holte türkisfarbenen Nagellack hervor.
"Reicht denn die Zeit bis zum Essen?", wollte ich wissen, "die müssen doch richtig trocknen."
Greta öffnete die Tür und schrie ins Wohnzimmer runter: "Wie lange haben wir noch Zeit bis zum Essen?"
"Noch eine gute halbe Stunde", rief Tante Heidrun hinauf.
"Das reicht." Gerda bemalte meine Fingernägel links, Sophie die rechts.
Sophie war die einzige, die die Fingernägel nicht lackiert hatte.
"Willst du deine auch lackiert bekommen?"
"Ja, gerne."
Sophie trug ein bordeauxrotes Kleidchen, Greta fand den passenden Nagellack dazu und lackierte ihrer jüngeren Cousine die Fingernägel.
"Darfst du sie dir nie lackieren?", fragte ich Sophie.
"Doch, aber nicht für die Schule. Nur in den Ferien."
"Da wird deine Mama schön staunen, lackierte Fingernägel und hohe Schuhe."
"Ich bin ganz aufgeregt, was sie sagen wird. Hoffentlich ist sie mir nicht böse."
"Keine Angst, da holen wir dich schon raus", beruhigte ich Sophie, die in ihrem Kleid, den weissen Strumpfhosen und den Pumps wie eine kleine Prinzessin aussah.
Die Fingernägel waren getrocknet als von unten gerufen wurde: "Kinder, runter kommen, Essen steht auf dem Tisch."
Wir warteten bis Torsten und Ruben sich nach unten begeben hatten, damit wir die uneingeschränkte Aufmerksamkeit bekommen würden. Und so schritten wir ganz schön stolz und majestätisch die Treppe hinunter.
Anerkennende Blicke waren uns sicher, nur Renate, die Mama von Sophie, verzog ein bisschen ihr Gesicht, bequemte sich dann aber doch noch zu einem aufmunternden Lächeln wie sie ihre Tochter so glücklich auftreten sah.
Greta nahm Renate allen Wind aus den Segeln als sie zu ihr bemerkte: "Renate, lass Sophie heute doch diesen Spass. Sie wird bestimmt keine bleibenden Schäden davontragen."
Sophies Papa, Onkel Kurt, auch mein Patenonkel, nahm seine Tochter in den Arm und sagte aufmunternd zu ihr: "Wunderschön siehst du aus, mein Schatz. Wo hast du mit hohen Absätzen so gut gehen gelernt?"
"Sie übt zu Hause mit den meinigen!", antwortete Renate bevor Sophie den Mund aufmachen konnte, schaute ihre Tochter an und sagte: "Meinst du, ich hätte es nicht gemerkt?"
"Mama, Greta hat mir diese Pumps geschenkt, weil sie ihr zu klein geworden sind. Darf ich sie behalten?"
"Ja, mein Engelchen, aber du musst versprechen, sie nicht zur Schule und nur zu besonderen Anlässen anzuziehen."
"Versprochen, Mama, danke." Sophie ging auf ihre Mama zu und umarmte sie.
Die Situation war für Sophie gerettet.
Das Interesse galt nun mir, im türkisfarbenen Kleid. Heidrun war die erste, die ihre Meinung loswurde: "Dani, mir fehlen die Worte, du siehst entzückend aus."
Weitere Komplimente folgten, nur die beiden Cousins sagten keinen Ton.
Die sechs Erwachsenen sassen am grossen Esszimmertisch, wir fünf Kinder am Gartentisch, der aufgestellt worden war, aber nicht minder schön dekoriert war.
Greta bekam einen grossen Applaus als ihre Mutter bekannt gab, dass Greta die Tischdeko ganz alleine aufgebaut und die Tische gedeckt hatte.
Immer wenn wir zu Weihnachten bei Tante Heidrun und Onkel Benno eingeladen waren, gab es traditionsgemäss als Hauptgang Gans mit Rotkohl und Klössen. Eine Tomatensuppe und ein Crevettensalat waren diesmal die Vorspeisen, eine Eistorte das Dessert.
An diesem Familientreffen schenkte man sich gegenseitig nichts, nur die Patenkinder bekamen vom jeweiligen Paten ihr Geschenk. Kurt, mein Patenonkel, überreichte mir nach dem Essen auch im Namen von Tante Renate ein grosses Weihnachtspaket. Im Vorfeld hatte sich Renate bei Mom erkundigt, was sie mir schenken könnten, wie ich im Nachhinein erfahren habe. Weil Mom natürlich nichts verraten wollte, empfahl sie Renate mir einen iPod zu kaufen.
Ich öffnete das Geschenk und freute mich über den iPod. Ich ging auf Kurt und Renate zu, umarmte diese und bedankte mich ganz herzlich.
Auch die anderen Kinder bekamen ihre Geschenke. Mom, die die Patin von Greta war, schenkte ihrem Patenkind, den Pullover, den sie sich gewünscht hatte und 100 Euro.
Nach der Bescherung spielte Greta noch zwei Stücke auf der Geige und Torsten zwei Weihnachtslieder auf dem Klavier.
Der Nachmittag klang mit Kaffee oder Tee und Kuchen langsam aus. Beim Eindunkeln löste sich das Familientreffen allmählich auf und man versprach sich (wie jedes Jahr), dass man sich mal unter dem Jahr treffen könnte, was dann aber fast immer nie der Fall war, wohnten die Familien einfach zu weit auseinander.
Vor der Verabschiedung bat ich Greta mit mir in ihr Zimmer zu kommen, damit ich mich umziehen könne. "Das Kleid kannst du behalten, mir ist es eh ein bisschen zu eng geworden, die Heels musst du aber hier lassen."
Mit einem herzhaften Kuss auf die Lippe bedankte ich mich bei meiner Cousine und rannte rasch hinauf in ihr Zimmer, um die Schuhe zu wechseln und meine Bluse, den Pulli und die Hose zu holen. In der Garderobe wechselte ich die Schuhe nochmals und zog die warmen Winterstiefel an. Greta gab mir noch eine grosse Papiertüte, in der ich meine Klamotten verstauen konnte.
Kurz und schmerzlos war die gegenseitige Verabschiedung, bei welcher man noch vereinbarte, dass das Essen im kommenden Jahr bei Renate und Kurt stattfinden würde.
(Fortsetzung, wahrscheinlich die zweiletzte, folgt; Jessy)