Ich krame mal diesen alten Thread wieder hoch. Denn ich habe mich getraut. Ein kleiner Erfahrungsbericht.
Dieses Jahr im Winter"¦
Ich will Ohrlöcher, seit Jahren. Leider habe ich es in meiner Jugend verpasst, sie mir stechen zu lassen. Das war igendwie nicht angesagt damals. Wie macht man das aber nur, nun als weitgehend ungeouteter Mittvierziger? Da halten mich doch alle für bescheuert, von den Kollegen über die Kunden bis zur Schwiegermutter. Oder zumindest würden sie mir eine mittelschwere Midlife-Crisis diagnostizieren.
Aber das Schicksal meint es gut mir mir: Unsere präpubertierende Tochter will auch endlich Ohrlöcher, so wie alle (wirklich ALLE!!) ihre Freundinnen. Meine Frau und ich haben ihr das Stechen zum Geburtstag geschenkt, aber diesen Winter will leider kein Juwelier ran. Gar keiner. Corona"¦ zu hohes Infektionsrisiko. Nur unser örtlicher Tätowierer würde es tun, aber zu dem will meine Tochter nicht. Kann ich verstehen, er sieht eher aus wie ein klassischer Fleischhauer.
Nach gemeinsamer Suche finden wir eine Stadt weiter eine nette Piercerin. Sie sticht mit dem System Studex-75, das ist state of the art. Ich frage sie aus einer Laune heraus per Textnachricht, ob sie den Papa gleich mit sticht - klar, kein Problem. Mir wird schwindelig. Was habe ich da getan? Ich zeige die Nachricht meiner Tochter.
"PAPA!?!? DUUU??? Echt jetzt!?!?" Meine Frau weiß um meinen Wunsch (und den ganzen Hintergrund) und seufzt, es seien meine Ohren. So richtig glücklich ist sie damit nicht. Aber: Es ist noch immer Homeoffice-Pflicht. Den ganzen Tag Kopfhörer auf den Ohren. Kaum jemand wird mich in den nächsten Wochen zu Gesicht bekommen. Also wann, wenn nicht jetzt?
Time won't wait for you.
Meine Tochter beruhigt sich ein wenig, die Aussicht auf die lang ersehnten Ohrlöcher überwiegt schliesslich. Sie hat Respekt vor dem Stich und ist irgendwie froh, dass ich mitkomme und wir das Ganze gemeinsam machen. Ein Vater-Tochter-Ding. Auf der Fahrt zum Piercing-Studio bekomme ich weiche Knie. Soll ich das jetzt echt durchziehen? Auch die Piercerin fragt mich, ob ich das wirklich will. Ja ich will. Beidseitig? Klar. Tschak - und ich habe ein Titankügelchen am Ohrläppchen. Und Tschak, auf der anderen Seite auch. Ich komme mir vor wie ein Mastschwein, das seine Marken bekommen hat. Ein Blick in den Spiegel"¦ nun ja, hmm"¦ gewöhnungsbedürftig. Liv hat eine unveränderliche Spur an meinem Körper hinterlassen. Das ist neu für mich, eigentlich wollte ich das nie zulassen. Aber nun sind sie drin. Meine Tochter weiß von nichts, aber sie strahlt mit ihren Fake-Brillianten im Ohr. Ich wünschte ich könnte auch so strahlen.
Zuhause empfängt mich meine Frau mit einem Küsschen. Sieht weniger schlimm aus als befürchtet. Aber ja, man sieht es. Dafür braucht man keine Lupe. Die nächsten sechs Wochen müssen die Erstlingsstecker Tag und Nacht drin bleiben. So lange werde ich mich im Homeoffice unter meinen Kopfhörern verstecken. Und mir kommt noch eine Idee: Mein Friseur meinte mal, dass man gravierende optische Änderungen mit einem Bart kaschieren kann. Also her mit dem 6-Tage-Bart, ist ja sowieso gerade Trend. Und siehe da: Alle sprechen mich auf den Bart an, keiner auf die Ohrringe. Nur meine Schwiegermutter meint ironisch, zum Geburtstag würde sie mir ein Paar Kreolen schenken. Meine Frau und ich schmunzeln betreten in uns hinein. Ach, wenn die nur wüsste.
Drei Monate später...
Die Ohrlöcher sind abgeheilt, ich habe weiterhin rund um die Uhr Stecker drin. Ich habe sie einmal einen ganzen Tag draussen gelassen und hatte dann Probleme sie wieder hinein zu bekommen. Also bleiben sie jetzt erstmal drin. Mitterweile habe ich ein kleines Arsenal an Fake-Plugs, die ich alle paar Tage durchtausche. Der Bart ist inzwischen wieder ab, meine Frau fand mich zu kratzig und zu markant. Außerdem war ich mehrfach en femme auf Tour, da musste er natürlich weg. Kreolen habe ich mittlerweile auch, allerdings nicht von der Schwiegermutter. Und sie fühlen sich echt gut an. Ich habe viel mit mir gerungen, aber mit baumelnden Ohringen durch die Fußgängerzone zu staksen"¦ dass entschädigt für alles. Ja, es war die richtige Entscheidung.
ohrringe.jpg
Einziger Wermutstropfen: Ich brauche jetzt wohl eine neue Perücke, da meine blonden Locken leider immer meine Ohren verdecken. So kommen die Ringe doch gar nicht zur Geltung!? So ein Mist aber auch"¦
Liebe Grüße
Liv
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