Helga hat geschrieben: ↑Fr 27. Nov 2020, 23:09Wo steht da Schlechtes drin?
Der Tiefschlag daran ist, dass der Expertykonsens zu den
best practises bei Genderinkongruenz, niedergelegt in der S3 Leitlinie von 2018, viel weiter ist.
Die S3 erkennt an, dass es nicht nur voll-binäre Identitäten gibt (30% aller Personen, die mit GI vorstellig werden, verorten sich als nicht-binär), dass GI keine Krankheit im eigentlichen Sinne ist, dass Bedarfe aufgrund von körperdysphorischem Leidensdruck individuell sind, dass HET-Start und Epilation früh in der Transition Leidendruck mindern, die Transition und Begleittherapie unterstützen und den ganzen Prozess weniger hart machen können. Aber die S3 ist noch "in der Umsetzung". Und der MDS hat sich sehr gezielt die kostengünstigsten Rosinen rausgepickt.
Auch der ICD11, der Klassifikationskatalog zur Abrechnung, hat gegenüber der Vorversion a) die Pathologisierung und b) die strikte Binarität abgelegt. ICD11 gilt in D aber erst verbindlich ab 2022 soweit ich weiss - weil sie noch in der Übersetzung ist! Also: Nur deshalb.
Statt sich also auf den aktuellen Stand der Wissenschaften, Psychologie und Medizin, einzulassen und die aktualisierten Kataloge einzubeziehen, schreibt die MDS-RL den alten Stand noch mal fest, um wenigstens bis dahin lieber psychologisch/psychiatrisch am alten, binären Bild einer Persönlichkeitsstörung rumzulaborieren, was dadurch nicht "weggemacht" werden kann, bei gleichzitig zu wenigen fachlich geeigneten personellen Kapazitäten.
Auf die angekündigte Aktualisierung nach Inkrafttreten des ICD11 setze ich auch nichts, denn die werden sie auch erst mal hinauszögern und minimalisieren, sprich: nur Bezeichnungen ändern. Wenn's schlecht läuft, hohe Wahrscheinlichkeit, nehmen sie ausschliesslich die HA60, die erst ab Einsetzen der Pubertät gilt, und so weiter.
Das Kostenargument ist übrigens kein sinnvolles. Auch irgendwelche Risiken bei nicht-operativen Methoden sind kein Argument. Wir bewegen uns da sowohl kostentechnisch, als auch medizinisch unterhalb von Blutdrucksenkern.
Die Überprüfungsinstanzen werden aufgefordert, besonders enge Definitionen zu verwenden, die eben wissenschaftlich nicht mehr sinnvoll im Sinne der Betroffenen ist. Tatsächlich sucht sich der MDS aus S3, ICD und DSM jeweils die schwierigsten Passagen raus, um so wenig wie möglich anerkennen zu müssen.
Beim klinisch relevanten Leidunsdruck zum Beispiel mal eben DSM-5, das berühmte B-Kriterium: "klinisch relevantem Leidensdruck oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen". D.h. Hilfe kriegst du erst, wenn dir Familie, Job oder dein sonstiges Umfeld um die Ohren geflogen sind. Dann sollst du erst mal etliche Monate ohne Hilfe in deiner neuen Rolle klar kommen, bevor irgendwelche Leistungen (HET, Epilation, Logopädie, etc.) anerkannt werden. So stellen die sich das jedenfalls vor. Dass mit Glück etliche Praktikys das besser handhaben ist nett, aber nicht Ziel und Absicht der MDS im Jahre 2020.
Damit verstärkt der MDS
systematisch, d.h. durch
sein System den Leidensdruck.
Und schliesslich "unumkehrbar, lebensverändernd" kommt 1 vielleicht sehr sehr vieles vor. Ich kenne Menschen, die sehr unbedacht Kinder in die Welt gesetzt haben, sich mit einer spontanen Heirat oder Hausbau die Lebensplanung versaut, oder ein unüberlegtes Überholmanöver bereut haben, aber bisher keine Person, die eine größere OP einfach so in Betracht gezogen hätte.
Diese Erzählung, wo unzählige Menschen sich ohne Abwägen der Konsequenzen operieren lassen ist eine reine, realitätslose, trans-feindliche, weil binär-essenzialistische
bullshit fiktion.