ich habe ein wenig den Eindruck, dass hier im Forum eine sehr einseitige, unfundierte, verzerrte und negative Sicht auf die Psychologie als Fachbereich der Normalfall ist. Ich kann das auch nachvollziehen, da die Personen mit dieser Sichtweise oft nur im klinischen Kontext bzw. im Kontext TS Kontakt mit “der Psychologie” hatten. Aber das verschafft eben einen stark verzerrten und verkürzten “Einblick”, der die daraus resultierende Verurteilung des gesamten Fachgebiets nicht rechtfertig. Und als Fachvertreter ärgert mich das eben. Wegen einiger Bugs in Windows ist die Informatik als Wissenschaft ja auch nicht nutzlos/des Teufels/hat nicht die Kompetenz, sich zu Software zu äußern.

Insofern bin ich über deine Beiträge, Nicole, aber immer begeistert. Du versuchst dich an einer Differenzierung und einer sachlichen und konstruktiven Herangehensweise. Und das, obwohl ich selbst viel zu oft richtig mies kommuniziere! (Sorry, Anke!

Bevor ich auf die Details eingehe: wir sind uns in ganz vielem einig!
Da bin ich voll und ganz deiner Meinung.nicole.f hat geschrieben: Doch wogegen ich mich klar wehre ist, dass, gerade zum aktuellen Zeitpunkt, irgendeiner dieser Wissenschaften eine Deutungshoheit zugesprochen wird, die Einfluss auf das Leben von Trans*-Menschen, insbesondere die medizinische Behandlung, zu nehmen versucht.
Auch da stimme ich dir vollkommen zu. Ich würde sogar noch einen draufsetzen und sagen: Trans* als Phänomen ist überhaupt nie behandlungsbedürftig. Denn das würde ja eine Unerwünschtheit von Trans* bedeuten, die ich überhaupt nicht sehe (und ich denke auch sonst niemand hier). Außerden kann (und IMO soll!) Trans* ja nicht “wegtherapiert” werden. Begleitphänomene wie Gender Dysphoria können behandelt werden. Welche Behandlung hier angemessen ist, muss im Einzelfall geschaut werden. Und das kann oft eine medizinische Behandlung mit Hormonen, ggf. OP, etc. sein. Eine zusätzliche psychologische Begleitung muss auch nicht immer notwendig sein.nicole.f hat geschrieben: In der Arztpraxis findet keine Forschung mit Phänomenologie [3], sondern Behandlung statt - eine psychologische Behandlung von Trans* selbst gibt es nicht, allenfalls der Begleiterscheinungen. Sind Begleiterscheinungen behandlungsbedürftig, so kann ein Teil davon vielleicht durch die klinische Psychologie [4] behandelt werden.
Jetzt zum kontroversen Punkt: Gender Identity und Gender Expression. Identität und das Selbst, sowie spezifisches Verhalten, das in sozialen Situationen auf die Darstellung von Gruppenzugehörigkeit zielt - psychologischer wird es nun wirklich nicht. Der Vergleich mit dem Gehen hinkt hier wirklich gewaltig (pun intended

Ich kann verstehen, dass sich viele Betroffene (klingt irgendwie blöd - so nach Krankheit) eine einfache Erklärung wünschen. Wenn Trans* “angeboren” ist, muss ich mir keine Gedanken mehr machen und bin auch nicht “schuld” daran. Für eine Einzelperson kann so eine vereinfachende (und leider inhaltlich falsche) Erklärung also durchaus entlastend wirken. Auch ist klar, dass man, wenn man immer in die Spinner-Ecke gestellt wird, da möglichst weit weg will. Verstehe ich wirklich!
Aber für die gesamtgesellschaftliche Diskussion ist diese Verkürzung reines Gift. Sie führt nur das fort, was die Gesellschaft im Moment sowieso schon (fälschlicherweise) annimmt. Nämlich, dass es bei jeder Person ein eindeutiges, objektiv feststellbares, “richtiges” Geschlecht gäbe und sich dieses an Penis bzw. Vagina feststellen ließe. Der einzige Unterschied ist, dass Penis oder Vagina plötzlich nicht mehr als Indikatoren gelten. Dafür kann man das “richtige” Geschlecht einer Person am Hormonhaushalt/der Gehirnstruktur/bitte irgendwelchen beliebigen biologistischen Unsinn einsetzen eindeutig festmachen. Und damit fällt plötzlich die unglaublich relevante Umwelt-Seite völlig weg. Und statt einer wichtigen Diskussion über Normen, Rollen, Rollenerwartungen, Heteronormativität, Identität, Gruppen und -zugehörigkeiten, Geschlechterdualität, Sex vs. Gender uvm. wird plötzlich nur noch über Testosteronlevel und den Hypothalamus gesprochen.
Und Marielle hat natürlich irgendwo Recht, warum streiten wir uns um Begrifflichkeiten? Weil Begriffe den Diskurs formen. Und ihn in diesem Fall verzerren und die Strukturen erhalten helfen. (Ich habe da noch einen ganzen Post zu im Kopf - hoffentlich komme ich mal dazu, den zu schreiben.) Deshalb liegt mir das Thema so am Herzen. Und deshalb gehen da auch gerne die Pferde mit mir durch. Auch explizit an Anke: ich hab dich blöd angepflaumt, das tut mir leid. Das Thema ist bei mir schon emotional besetzt, da vergreife ich mich leider schon mal in der Wortwahl. Sorry…
Auf eine konstruktive Diskussion
Lara
P.S.
Brauchen wir. Absolut.Anke hat geschrieben: Vielleicht braucht es auch einen interdisziplinären Forschungsansatz, der Transsexualität als eigenständiges Phänomen mit unterschiedlichen Facetten betrachtet und sich in den unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen bedient.