finde ich ja super schön, dass wir uns hier gegenseitig etwas beim "Ausheulen" unterstützen - es ist zum heulen.
Ja, wir müssen auch froh sein, dass TSG seit 1981 zu haben. In vielen vielen vielen Ländern gibt es gar keine solchen Gesetz und Menschen dort können weder Geburtsurkunde noch andere Papiere jemals ändern - wie schrecklich ist das den? Der §5 des TSG ist eine schier geniale Erfindung! Dieser ist der Hebel, mit dem wir verlangen können, Zeugnisse und amtliche Unterlagen anpassen zu lassen. Das ist schon großartig! Und das sollten wir, bei aller Kritik, nicht vergessen. Ich führe ja gerne die USA als Beispiel an. In den USA kann man in praktisch keinem Bundesstaat die Geburtsurkunde ändern lassen. Kommt es hart auf hart, kommt also immer wieder die alte Identität auf den Tisch.
Aber dennoch, die Gutachten sind erniedrigend und entmenschlichend und sie öffnen den Weg für Willkür und Beliebigkeit. Wie Anne-Mette es auch berichtet, wie die Fälle die ich kenne und die weiteren von denen wir wissen und gehört haben, das Verfahren ist alles andere als objektiv. Objektivität ist die Grundlage von Recht und Gerechtigkeit. Nicht objektiv zu sein bedeutet also auch mögliches Unrecht. Staatlich sanktioniertes Unrecht kann niemals akzeptabel sein.
Die Begründung der Ablehnung meiner Verfassungsbeschwerde zeigt sehr klar, dass das BVerfG von diesem Unrecht nichts weiß und nichts sieht. Wir haben jahrelang versucht, auf einer sachlichen Ebene zu argumentieren, sachlich darzulegen warum die Bestimmungen des TSG gegen Grund- und Menschenrechte verstoßen, ja sogar auch wissenschaftlich heute nicht mehr haltbar sind. Vielleicht ist es an der Zeit mit konkreten Fallbeispielen aufzuzeigen, wie kaputt dieses Verfahren tatsächlich ist, welcher Beliebigkeit und Willkür trans* Personen ausgesetzt sind und wie traumatisierend diese Verfahren tatsächlich sind?
Ich glaube, das hat bisher noch niemand zusammengetragen, jedenfalls wüsste ich nicht davon. Und ich glaube auch, dass das vielleicht etwas bewegen könnte, wenn man dies einmal täte. Konkrete tatsächliche Schicksale. Vielleicht wird es dann endlich für Politiker_innen klar, was da passiert und warum dringender Handlungsbedarf besteht. Ohwei, ich glaube das ist eine gute Idee und ich werde mir mal überlegen, wie man das gut machen könnte.
Zurück zu den Fragen zu den Grundlagen des TSG. Das TSG selbst gibt recht klar vor, was die zu begutachtenden Fragen sind. In §1 Abschnitt (1) 1. und 2.:
Das Bundesverfassungsgericht hat im Oktober 2017 festgestellt:§ 1 Voraussetzungen
(1) Die Vornamen einer Person sind auf ihren Antrag vom Gericht zu ändern, wenn
1. sie sich auf Grund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht, sondern dem anderen Geschlecht als zugehörig empfindet und seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang steht, ihren Vorstellungen entsprechend zu leben,
2. mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sich ihr Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird, und
https://www.bundesverfassungsgericht.de ... 74717.html
Absatz 12:
Mit anderen Worten, ausschließlich die beiden Fragen des TSG §1 sind Gegenstand der Begutachtung und nichts anderes.a) Die Begutachtung nach § 4 Abs. 3 TSG darf sich nur auf solche Aspekte beziehen, die für die sachliche Aufklärung der in § 1 Abs. 1 TSG normierten Voraussetzungen des Namens- und Personenstandswechsels relevant sind. Wenn sich - wie die beschwerdeführende Person unter Berufung auf empirische Studien geltend macht - Begutachtungen nach § 4 Abs. 3 TSG in der Praxis auf Informationen erstrecken sollten, die nach heute geltenden diagnostischen Kriterien zur Feststellung der Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 TSG nicht relevant sind, ist dies durch § 4 Abs. 3 TSG nicht gedeckt. Vor allem wegen des regelmäßig intimen Charakters der Fragen, die in der Begutachtung nach § 4 Abs. 3 TSG gestellt werden, beeinträchtigt dies die Grundrechte der Betroffenen. Die Gerichte haben daher bei der Erteilung des Gutachtenauftrags und bei der Verwertung des Gutachtens insbesondere darauf zu achten, dass die Betroffenen nicht der Begutachtung hinsichtlich solcher Fragen ausgesetzt sind, die für die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 TSG keine Bedeutung haben. Außerdem darf das Gutachtenverfahren nach § 4 Abs. 3 TSG nicht dazu genutzt werden, die Betroffenen zu einer therapeutischen Behandlung ihrer (als vermeintliche Krankheit begriffenen) Transsexualität hinzuführen.
Das Problem ist nur, wie soll eine dritte Person, also ein_e Gutachter_in, objektiv diesen "Zwang" feststellen? Und belegen, dass dieser bereits seit mindestens drei Jahren besteht? Und nicht mehr verschwinden wird?
Hierzu schrieb Annette Güldenring bereits 2013 in der Ausgabe 26 der Zeitschrift für Sexualforschung:
Genau hier liegt die Crux, es gibt keine objektivierbaren Kriterien, die im Rahmen einer Begutachtung untersucht werden könnten und dies ist die grundlegende Fehlannahme dieses Verfahrens. Persönliches geschlechtliches Empfinden kann von außen durch Dritte nicht festgestellt werden. Dies ist die grundlegende Erkenntnis, die seit Jahren dafür sorgt, dass aus Sicht der Menschenrechtssituation Organisationen wie UNO, Europaparlament oder Europäischer Rat die Abschaffung der medizinischen Begutachtung fordern, warum der ICD-11 angepasst wurde und warum die neue AWMF S3 Leitlinie im Prinzip nur noch ein informiertes Einverständnis vorsieht. Warum? Weil niemand etwas anderes kann, es geht schlicht nicht.Die Fremddiagnostik geschlechtlichen Empfindens, wie sie im TSG-Verfahren praktiziert wird, entbehrt danach einer methodischen Grundlage und ist keinen Tag länger zu vertreten. Geschlechtsempfinden sollte endlich als subjektives Empfinden anerkannt werden, mit Recht auf Selbstbestimmung und ungestörten Lebensraum. ... Nach Auffassung der Autorin sind Psychiatrie und Psychologie wie auch andere fachverwandte Disziplinen nicht in der Lage, objektive und objektivierbare Aussagen zur Geschlechtsbegutachtung zu treffen. Ihre Funktion im TSG ist nach dieser Auffassung hinfällig, darüber hinaus für Menschen mit non-konformem Geschlechtsempfinden durch die Tendenz zur Psychiatrisierung entwicklungs- und gesundheitsgefährdend...
Wie gerichtliche Gutachten aufzubauen und zu formulieren sind, ist recht genau geregelt, dafür gibt es jahrzehntelange Praxis - die im Übrigen für alle Gerichtsgutachten gilt. Es beginnt mit der Fragestellung, es folgt die Beschreibung des Sachstandes und endet mit der sachverständigen Aussage der Gutachter_in. Solche Gutachten sind _kein_ Urteil. Die Richter_innen entscheiden unabhängig, d.h. sie können sich über die Gutachten hinwegsetzen. Die Gutachten sind eine Entscheidungshilfe, nicht aber eine Vorwegnahme der Entscheidung, diese trifft die Richter_in.
Da weder Gutachter_innen noch Richter_innen objektivierbare Kriterien zur Hand haben (s.o.), laufen diese Verfahren dann leider in der uns bekannt scheinbar willkürlichen Art und Weise ab. Jede_r versucht auf ihre Art und Weise und nach ihrem Verständnis von Geschlecht und Einschätzung des "Zwangs" irgendeinen Maßstab anzulegen. Die einen meinen dies an Kleidung und Auftreten ablesen zu können, andere an Merkmalen der Biografie oder wie lange die Person es bereits in der "anderen Rolle" aushält. Nichts von alledem ist relevant oder gar aussagekräftig. Gemacht wird es dennoch. Sie wissen es nicht besser.
Daher muss das weg. Es kann nicht verbessert werden, es kann nur entfernt werden, ersatzlos.
Liebe Grüße
nicole