Hallo ihr Lieben,
der lange herbeigesehnte Pfingsturlaub hat seinen Zenit erreicht, weshalb es Zeit ist, eine Halbzeitbilanz zu ziehen.
Aktuelle Stimmungslage: Allzeithoch, doch dazu später.
Das Packen des Wohnmobils ist immer ein Kraftakt für sich. Weniger das Putzen, Wasserauffüllen, Fahrzeugtanken, Lebensmittel einladen, etc. Es sind vielmehr die textilen Begleiter, die das Geschäft mühsam machen. Bisher habe ich meine Frau belächelt, wenn sie sich nicht entscheiden konnte, was sie mitnimmt. Meine Männersachen waren schnell zusammengesucht, die Auswahl ist zwar groß, aber die Entscheidung sehr pragmatisch. Etwas in die Länge gezogen hat sich die Auswahl der femininen Klamotten, obwohl Auswahl konnte ich es zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht nennen.
Endlich, Donnerstag später Nachmittag: Wenig auffällig, aber dennoch durch und durch feminin gekleidet mit dünner Hose aus dem Asialaden und Shirt gings hinters Steuer und los. Ziel war das Wörlitzer Gartenreich: Ein wunderbarer Park bei Dessau mit großem WoMo-Stellplatz und herrlichen Spazierwegen. Ein Traum.
Dort angekommen, schnell noch den korallefarbigen Rock angezogen, Lippenstift und Mütze und los gings zur Abendrunde. Mein Schatz hat gerne zugestimmt und wir haben den ersten Mädels-Spaziergang überhaupt unternommen. Die Glückshormone haben nur so getanzt. Trotz flacher Sandalen hat sich das Gehen wie auf Wolke 7 angefühlt. Unterwegs en femme und mal nur zum Genießen und nicht zum Shoppen. Lediglich die Mücken haben uns geärgert, und sie waren wirklich riesig! Das mag der Nachteil von Röcken sein, denn die Mistviecher kennen keine Scham und fliegen auch darunter.
Bevor es am nächsten Tag weiterging, nutzten wir den Vormittag für einen weiteren Spaziergang. Dieses Mal hatte das grüne wadenlange Kleid seine Freiluftpremiere. Wieder der volle Genuss, mit meinem Schatz über die Wege zu schleichen, dieses Mal in den Sandalen mit Absatz. Die sind so bequem, dass sie schon auf dem Weg waren, meine Lieblingssommerschuhe zu werden.
Mittags gings weiter ins Wendland (Stichwort Gorleben) zum Tangotanzen. Drei Abende getanzt bis die Füße qualmten und tagsüber noch einige Workshops. Zum Ausruhen kam nur Alicia, da die Veranstaltung in klassischer Rollenverteilung stattfand. Deswegen auch die Männersachen im Camper. Vor Ort erfuhren wir, dass sich eine Queertango-Szene gründet, die einige Orte weiter gerade ein Treffen abhielt. Mal abwarten, wie es sich entwickelt.
Den Pfingstmontag verbrachten wir noch mit einer "Kulturellen Landpartie" durchs Wendland: Eine wirklich empfehlenswerte, jährliche Veranstaltung mit reichhaltigem Programm von Himmelfahrt bis Pfingsten. Es geht der Ausspruch, dass es früher nur 2 kulturelle Ereignisse pro Jahr im Wendlad gab: Landpartie und Castor-Transport - eines fehlt jetzt. Leider war es der letzte Tag, aber wir haben noch einiges erleben können. Abends durfte dann auch Alicia wieder mitspielen: Die Männersachen wurden weitgehend verräumt und der Innenraum des Wohnmobils und die Kleidung femininer.
Die Weiterfahrt am Dienstag führte uns zum wiederholten Male nach Wismar: Wir mögen diese Stadt mit ihrem Flair und den kurzen Wegen. Der geplante eintägige Aufenthalt wurde glatt um 24 Stunden verlängert, da wir unmöglich alle relevanten Geschäfte an einem Tag durchstöbern konnten. Es war ein Einkaufsrausch sondersgleichen.
Erste Anlaufstelle war unser Lieblingsschuhgeschäft. Hier wurde ich früher auch schon in Sachen ausgefallene Männerschuhe fündig. Heuer nahm Alicias Schuhbestand beträchtlich zu, wie ihr auf dem Bild sehen könnt. Weniger die hochhackigen sprachen mich an (Auswahl war auch sehr übersichtlich), sondern eher die alltagstauglichen, auch schon im Vorblick auf den Herbst.
Auch das Thema Lieblingssommerschuhe wurde aktualisiert: Die bisherigen Absatzsandalen mussten bereits im Schuhgeschäft in die Tragetüte und die butterweichen grünen sind mittlerweile fast festgewachsen an meinen Füßen. Auf denen laufe ich noch mal beschwingter als auf den Sandalen. Die Fotos sind einige Tage später entstanden, weshalb die Fußnägeldekoration sandstrandbedingt am Ende war.
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Auch der Kleiderschrank hat beträchtlichen Zuwachs bekommen. So verfügt Alicia aus gegebenem Anlass nun u.a. auch über einen quietschgelben Regenmantel, einen richtigen Ostfriesennerz. Als Mann habe ich schon immer ein Auge auf diese Jacken geworfen, aber mich nie getraut. Wir haben wirklich keinen Laden ausgelassen, vom Asiashop, über Secondhand, Markthändler, Boutiquen bis ins Kaufhaus. Immer an meiner Seite, meine persönliche und liebste Mode- und Stilberaterin, die einen Mordsspaß hatte. In einer Boutique hatten wir eine derart individuelle und zuvorkommende Beratung, dass mein Schatz in den Pausenmodus ging und nur noch nickte. Lediglich bei Röcken sieht es diese Saison rabenschwarz aus. Außer im Secondhand war nichts Vernünftiges zu bekommen. Für mich/uns war die Tour Genuss pur, für meine Bankkarte weniger. Egal, es ist Urlaub!
Auch das abendliche Essengehen als zwei Frauen in der Stadt war wiederum eine Premiere. Die Zeit beim Warten aufs Essen gab prima Gelegenheiten für Gespräche über meine neue Rolle, ihre Gefühle dazu und auch über das Forum. Der arabischstämmige Kellner hat sich wohl seinen Teil gedacht, aber das war uns egal. Da ich immer noch auf das Schminken und eine Perücke verzichte, ist der Mann nicht wegzuleugnen. Obwohl ich mich im Spiegel mit Lippenstift als androgyn bezeichnen würde, gehe ich bei meiner Frau keineswegs als ihresgleichen durch. Ich fühle mich dennoch sauwohl in meiner neuen Rolle. Die Verkäuferin in der Bäckerei hat immer geschmunzelt, als ich leicht feminin gekleidet, aber mit bunt dekorierten Fingernägeln täglich unsere Frühstücksbrötchen holte.
Am Donnerstag lassen wir Wismar hinter uns und fahren nach Norden. Das Auschecken am Womo-Stellplatz nebst Entsorgungsprozedur des Fahrzeugs geschah natürlich auf den grünen Hacken und im Rock. Einige der älteren anderen Gäste schauten schon etwas komisch, aber getraut hat sich niemand etwas zu sagen.
Noch am Ankunftstag am Zeltplatz bei Eckernförde wurden alle neuen Kleidungsstücke, die nicht aus Boutiquen oder Kaufhaus stammten, erst einmal durchgewaschen und füllten die Leine:
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Als wir zuletzt am Ostseestrand waren, hatte ich in meinen kühnsten Träumen nicht daran gedacht, zwei Jahre später in einem solchen Aufzug zurückzukehren.
Auf dem Campingplatz und am Strand bewegte ich mich wie selbstverständlich ausschließlich in femininer Mode, mal mehr, mal weniger auffällig. Im Forum würde hier der Begriff "hybrid" ins Spiel kommen.
Als gestern Abend der Strom im Auto ausfiel, musste ich noch einmal im Kuschelkleid und FSH raus bis an den Verteilerkasten und nachsehen: Den Anschluss gewechselt und der Saft war wieder da.
Heute wird wohl wieder ein gemeinsamer Strandspaziergang sein, dieses Mal in einem der neuen Strandkleider. Bin schon gespannt, welches es wird.
Fazit der Woche: Ich bin absolut angekommen in der neuen Rolle, werde von meiner Frau hinten und vorne unterstützt und akzeptiert, trete einigermaßen selbstsicher auf. Ich Hätte nie gedacht, dass ich zu so etwas fähig bin und kann mich an keinen Urlaub mit so vielen Glücksgefühlen erinnern. Dass Männerkleidung nach dem Tanzen gar keine Rolle mehr spielen würde im Urlaub, habe ich nicht zu träumen gewagt.
Ein echter Höhenflug.
Morgen gehts weiter nach Dänemark. Mal sehen, wo es uns zwei Mädels hinverschlägt.
Liebe Grüße aus dem Norden, Alicia.
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