Hallo und guten Tag,
vielen Dank für die Eröffnung dieses Themas und die bis dato eingegangenen Stellungnahmen.
Ich selbst bin ja
"nur" CD (Bigender), seit mehr als 38 Jahren mit meiner Partnerin und Ehefrau
zusammen und ihr gegenüber seit Dez2011 geoutet. Mit der Toleranz und Akzeptanz meiner Frau
zum Erleben und Ausleben meiner weiblichen Seite fand Mel dank ihrer Unterstützung den Weg
in die Öffentlichkeit. Dafür bin ich ihr unendlich dankbar!
An dieser Stelle geht auch ein Dank an die Beiträge von Aubergine und Marielle zu diesem Thema,
deren Aussagen und Einlassungen ich vollumfänglich unterschreiben kann!
Wer hier die Behauptung aufstellt, der Mensch an sich verändere sich während seines
Hinübergleitens in die gefühlte geschlechtliche Rolle nicht, da ja nur die inneren Werte und
Charaktereigenschaften zählten, der stellt m.E. da eine Schutzbehauptung auf, um so das eigene
Gewissen gegenüber Partner-in und Familie zu entlasten!
Obwohl ich als Crossdresser ja nur sporadisch meine weibliche Seite äußerlich sichtbar mache,
dabei selbst die Auffassung vertrat, dass mit dem - möglichst perfekten - Wechsel in die äußere
weibliche Hülle bei mir keine Veränderung im Auftreten und Benehmen zu meinem biologischen
Geschlecht festzustellen sei, so musste ich mich von meiner Frau wie auch Freunden aus der
"Szene" (befreundete CIS, CD, TG, TS ) eines Besseren belehren lassen. So bin ich in meiner
weiblichen Rolle mehr auf mich selbst fixiert, vielleicht gar etwas narzisstisch veranlagt und gehe
auch dank Ausschüttung der Endorphine ganz in meinem "Frausein" auf!
Zu Beginn meiner Auftritte in der Öffentlichkeit warf meine Frau mir irgendwann mal vor, dass ich,
entgegen meiner sonst üblichen Wesensart, es an der gewohnten Aufmerksamkeit, Rücksichtnahme
und Zuvorkommenheit ihr gegenüber fehlen ließe. Die Titulierung
"der Kümmerer" innerhalb von
Familien- und Freundeskreis beschreibt so eine meiner kennzeichnenden männlichen Wesensarten.
Nun gut, ich schrieb dies "Fehlverhalten" auch einer gewissen Unsicherheit im Mel-Modus zu und
gelobte Besserung. Sie ist aber nach wie vor überzeugt, dass ich mich im Mel-Modus anders gebe,
ohne dies nun explizit an konkreten Beispielen festmachen zu wollen.
Und ja,
Sie verzichtet bei solchen Unternehmungen auf den vorzeigbaren Mann an ihrer Seite, mit
dem
Sie sonst mitunter Händchen haltend durch die Straßen und Geschäfte zieht, sich ab und an
auch mal ein Küsschen gibt oder beim Restaurantbesuch tiefer in die Augen blickt.
Da ist dann eine großgewachsene "
Frau" (die zumindest als solche wahrgenommen werden möchte!)
an ihrer Seite, gestylt von Kopf bis Fuß, die sie (=Mel) bei der Auswahl des Outfits und Schmuck
oftmals selbst noch berät, die statt nach Aftershave riechend eine blumige Duftnote um sich
verbreitet, die mitunter den Sitz der Haare prüft, das Näschen pudert und die Lippen nachzieht.
Da ist dann auch der Austausch von Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit ein Tabu, selbst Händchen
halten oder Arm in Arm gehen entspricht eben nicht dem Verhalten von 2 befreundeten Damen,
die auf die Sechzig zugehen!
Und dann sind natürlich weitere Grenzen abzustecken!
Wie weit will mein Mann im Ausleben seiner weiblichen Gefühle gehen? Wie oft muss ich auf den
sichtbaren Mann an meiner Seite verzichten? Wie, wo und wann zeigt er sich der Öffentlichkeit?
Wer darf oder muss überhaupt davon erfahren, dass mein Mann/Familienvater ein crossdresser ist?
Was ist, wenn die nicht eingeweihten Nachbarn oder Freunde es erfahren?
Bleibt er/sie nun auf dieser Stufe der Feminisierung oder kommt da eventuell noch mehr?
Die nunmehr erwachsenen und auch hier aufgewachsenen Kinder wissen seit 4 Jahren davon,
möchten aber eigentlich nicht, dass ES im unmittelbaren Umfeld der Familie / Nachbarn (Dorf) publik
wird, da sich dies dann auch mit Sicherheit in ihrem Freundeskreis rumspräche und man so zum
Thema Stellung beziehen müsste und sich ggf. verletzendem Gerede oder Gespött ausgesetzt sieht.
Wobei ich hier erwähnen möchte, dass die Kinder sehr unterschiedlich auf das coming out ihres
Vaters reagiert haben.
Während die Tochter schon nach wenigen Stunden / Tagen sogar Tipps zum Styling bis hin
zum Angebot eines Fotoshooting (Hobby) vorbrachte, so möchte der ältere und nun verheiratete
Sohn mit dem ganzen Thema eigentlich nicht konfrontiert werden. Er kann mittlerweile auch mal
eine locker spaßige Bemerkung von sich geben, möchte seinen Vater aber nicht en femme sehen (auch keine
Fotos)!
An dieser Stelle möchte ich auch mal auf die Aussage von
ANJA eingehen, dass ihre Kinder eben von
Geburt an die weibliche Rolle ihres Vaters gewohnt sind und vollkommen unproblematisch damit
umgehen.
Da sehe ich in ihrem Alter auch noch keine Probleme (älteste Kind 3,5 Jahre), aber was wird im
Kindergarten, Vorschule - oder noch gravierender - in der Schule sein? Anja deutete es in einem
Nebensatz ja selbst schon an.
Gut, es gibt auch heute schon Kinder in gleichgeschlechtlichen homosexuellen Beziehungen
(lesbische Biofrauen), die ebenfalls in den Kindergarten oder zur Schule gehen.
Aber wenn der weibliche Vater , oder
Väterin (ich nutze an dieser Stelle mal Anja 's Begriff),
dessen maskuline Vergangenheit noch immer äußerlich erkennbar ist (nicht auf eine bestimmte
Person bezogen), das Kind zur Schule bringt/abholt, zum Elternabend geht usw., dann werden die
Mitschüler-innen / deren Eltern mit Sicherheit Fragen stellen, vielleicht sogar negative Bemerkungen
machen oder die betreffenden Kinder gar ausgrenzen?!
Und Kinder können in dieser Hinsicht sehr grausam sein!!
Da ein klärendes Gespräch zu suchen und somit auf eine positive Einflussnahme der Eltern dieser
Kinder zu hoffen ist m.E. mit vielen Fragezeichen verbunden.
Wie werden die Kinder von Transpaaren auf mögliche negative Reaktionen ihres täglichen Umfeldes
reagieren? Welche Auswirkungen hat dies innerhalb der Familie des Transpaares?
Leider gibt es in der Literatur, in wissenschaftlichen Abhandlungen wie auch den Medien nur wenige
Beispiele von Regenbogenfamilien, wo belastbare generelle Aussagen zu solchen Situationen
abgeleitet werden können. Es finden sich sowohl positive wie auch negative Beispiele dazu.
Vor einigen Wochen/Monaten lief eine Dokumentation im TV zum Thema Transsexualität, in dem
u.a. ein (spätberufener) Vater die Transition vom Mann zur Frau gerade abgeschlossen hatte und
seine 8- oder 9-jährige Tochter von der Schule abholte, die dort einsam und verlassen auf (ihn)sie
wartete, während die anderen Kinder der Klasse in Gruppen ihren Heimweg antraten.
Im Interview war dem Mädchen deutlich ein diesbezügliches Unbehagen anzumerken, sie sah sich
bei der Fragestellung im Beisein ihres Vaters wohl auch etwas in der Zwickmühle, sprich ihre wahren
Empfindungen zum Verhalten ihrer Mitschüler ihr gegenüber zu artikulieren, als auch ihren Gefühlen
zu dem nun weiblichen Vater (dessen markant maskuline Erscheinung zudem auch sehr augen-
scheinlich war).
Diese Väterin sah sich während besagten Interviews auch gleich berufen in die Bresche zu springen:
"Also in der Schule hat unsere Tochter keine Probleme aufgrund meiner "Besonderheit", die haben
sie doch seinerzeit auch zur Klassensprecherin gewählt!" Auch das der Freundeskreis der Kleinen
sich auf 2-3 Kinder beschränkte, die ab und an mal zu Besuch kämen, während die Tochter selbst
wenig bis gar keine Gegeneinladung erfuhr, wurde seitens des weiblichen Vaters als normal
erachtet! Soweit das Ganze aus meiner Erinnerung heraus.
Leider habe ich weder Doku-Titel noch ausstrahlenden Sender präsent, sonst hätte ich hier einen Link
gesetzt. Meine auch, dass die leibliche Mutter und Partnerin sich überhaupt nicht vor der Kamera
zeigte bzw. geäußert hat, was ja auch eine Aussage bei einer solchen Dokumentation ist?!
Wenn ich dann sowohl hier als auch in anderen Foren Aussagen von manchen TS MzF lese, dass
die Partnerin /Familie doch nun mal bitte Verständnis für die Realisierung der gefühlten
Geschlechtlichkeit aufbringen möge und sich damit - abgesehen vom äußeren Erscheinungsbild - ja
nichts ändere, so zweifle ich doch manchmal am Realitätsbezug oder werte dies als Rechtfertigung
für die eigene Handlungsweise unter Vernachlässigung ebenso berechtigter Belange innerhalb der
Familie.
Aber, und nun stelle ich mal folgende These auf, vielleicht geschieht dies ja zum Teil auch
unbewusst?! Ich stelle den Betroffenen TS/TI gar nicht in Abrede, dass sie sich über Monate bzw.
Jahre den Kopf zermartern, wie sie ihrem tatsächlich empfundenen Geschlecht näher kommen oder
die maximal mögliche Angleichung erreichen können. Diese geistige Auseinandersetzung sowohl
innerlich als auch in Gesprächen mit Partner-in, Familienangehörigen und Therapeuten fordert auch
ihren Tribut und hier verfolge ich den Gedanken, dass bei dem/der TS/TI im Laufe der Zeit ein
vom Unterbewusstsein gesteuerter psychischer Prozess in Gang gesetzt wird, der den/die
Betreffende-n vor Selbstvorwürfen / Schuldgefühlen schützen soll und die Realisierung der eigenen
Wünsche = anpassen der Geschlechtlichkeit über alles andere stellt! Und je näher man/Frau sich
diesem Ziel sieht, desto mehr treten Selbstzweifel und etwaige Schuldgefühle in den Hintergrund.
Geschieht nicht auch ähnliches bei allen Menschen, denen mal Unangenehmes / Negatives
widerfahren ist? Im Laufe der Zeit treten diese Ereignisse in den Hintergrund, geraten in
Vergessenheit und wenn wir dann mal von vergangenen Zeiten sprechen, so überwiegen doch die
positiv empfundenen Erinnerungen?! Soweit meine These, die auch gleichzeitig eine Lanze für
die vermeintlich egoistisch denkenden Transsexuellen brechen soll.
Wohl gemerkt, ich kann den psychischen Druck von TG/TS durchaus nachvollziehen und auch dass
diesem nachgegeben wird, selbst bei mir als "nur Teilzeitfrau" baut sich immer wieder Druck auf,
wenn ich denn längere Zeit nicht als Mel unters Volk konnte, aber bitte vergesst dabei nicht die
Liebsten um Euch herum und versucht euch in deren Lage und Empfindungen hinein zu versetzen!
In diesem Sinne,
seid verständnisvoll füreinander! ...und sorry für die langen Text.
Mel