Hallo ihr
ein sehr interessantes Thema und eines, was mir auch persönlich sehr am Herzen liegt.
Erst ein mal möchte ich das Video, was Mel erwähnt hat, verlinken, weil ich das zufällig letzte Woche auch gesehen habe:
https://www.youtube.com/watch?v=seC4Ei7aJq0
Interessant (teilweise) sind auch die Kommentare unter dem Video. Auch da beschreiben manche Kommentierende den inneren und äußeren Druck.
Ich persönlich habe mich lange schuldig gefühlt dafür, dass ich das Thema mit in die Beziehung gebracht habe und ich nicht von Anfang an mit offenen Karten gespielt habe. (Als ich mich geoutet habe, waren wir fast 10 Monate zusammen). Ich bin an der Schuldfrage um ehrlich zu sein fast zerbrochen. Auch Beteuerungen meiner Freundin dass es nicht meine Schuld sei habe ich abgetan als: "na, sie muss das ja sagen, damit ich nicht vollständig kaputt gehe". Ich habe mir Vorwürfe gemacht, viele große Vorwürfe. Auf der anderen Seite weiß ich, dass ich ohne meine Freundin keine Chance gehabt hätte, in mich hinein zu hören. Es war ja nicht der Zeitpunkt im Oktober 2013, als ich mir eingestand anders zu sein, sondern ich habe mich verpflichtet gefühlt ihr die Wahrheit zu sagen, eben weil ich sie liebe. Vor unserer Beziehung wäre ich noch lange nicht reif gewesen dafür und wenn wir nie zusammen gekommen wären, dann immer noch nicht.
Natürlich kann man sagen, dass das egoistisch war, die Zeit. Sophie war ja schon vorher lange in meinem Leben präsent. Doch irgendwie hab ich es immer wieder geschafft, diesen Teil zu unterdrücken, ja ich habe es sogar geschafft Abends diesen Teil nicht wahrzunehmen, obwohl ich morgens noch en femme im Zimmer saß. Ich weiß nicht, wie es anderen TS/CD geht, die lange mit sich kämpfen. Diese Verschiebung ins Nicht-Bewusste, dieses nicht wahrhaben wollen, das war bei mir ein psychischer Prozess, der auch unbemerkt ablief und eine Funktion hatte! Ich hätte ohne diesen Mechanismus wahrscheinlich die Scham nicht ausgehalten. Und damit sind wir bei einem zweiten Punkt, den ich ansprechen möchte: Die Scham. Viele von uns schämen sich für das, was wir tun. Die Gründe dafür liegen wohl im sozialen Umfeld und dem Blick in den Spiegel. Mit dieser Scham und dem Verdrängungsprozess im Hintergrund treffen wir nun auf eine potentielle Partnerin, die uns gefällt. Die schönen Gefühle überlagern das, was zwar innerlich schon da ist, aber eben völlig ausgeblendet werden kann. Die Hoffnung, dass wir doch noch "normal" werden, ist so groß und immer da...
Jetzt drei Jahre später stehe ich kurz vor der Hormontherapie. Nur meine Freundin hat dadurch, dass sie mir die Scham genommen hat und später auch die Schuld, ermöglicht, dass ich wirklich in mich hinein höre. Und trotz aller Liebe, die sie mir gegenüber aufgebracht hat, wird sie am Ende den Mann, den sie so liebt, verlieren. Und das ist das traurigste. Jetzt kehrt mein Schuldgefühl wieder zurück. Gleichzeitig die Scham. Auch das sind zwei überlappende Prozesse, die ich nicht aufhalten kann. Wenn ich mich aber der Schuld hingebe, dann hat niemand gewonnen. Ich komme zum Stillstand und werde trauriger. Meine Freundin steckt mit drin. Hätte aber nach dem Coming-Out die Möglichkeit gehabt, sich sofort zu trennen. Das hat sie nicht getan. Obwohl sie wusste, dass nicht absehbar ist, was am Ende passiert. Und damit mir die Möglichkeit gegeben, mich weiterzuentwickeln.
Ich weiß, was ich meiner Freundin antue. Und obwohl das alles so klingt als wäre ich über die Schuld hinweg, ist es nicht so. Auch jetzt muss sie mich oft daran erinnern, dass wir so weit gegangen sind und niemanden von uns Schuld trifft. Und ich glaube, das muss man akzeptieren. Und zwar sowohl die Person, die sich im Transitionsprozess befindet, als auch die Partnerin. In diesem Dilemma stecken viele von uns. Und wir haben sicherlich unseren Teil dazu beigetragen, dass die Partnerin da drin steckt. Aber ungewollt. Im Gegenteil, wir wollten ja für sie der Mann sein. Viele haben das mehrere Jahre bis Jahrzehnte geschafft. Und wir haben versucht ein guter Mann zu sein. Aber am Ende, und da müssen wir wohl egoistisch sein, zählt das, was wir persönlich als Individuum fühlen und wollen.
Aber bei allem Egoismus: wir müssen unserer Partnerin ehrlich gegenüber sein. Und das ist bei aller aufgebauten Scham und Schuld gar nicht einfach. Es ist ein langer, langer Prozess, in dem ich auch noch mitten drin stecke. Aber wenn wir uns verlieren, dann verliert die Partnerschaft.
Natürlich kann man sagen: "Hey ich bleibe der gleiche Mensch und bin halt nur glücklich!". Ja, es wäre schön. Auch mir wurde oft von meiner Freundin bestätigt, dass ich als Sophie ganz anders rüberkomme als als Mann. Und dass das auch seine positiven Seiten hat. Aber es ist halt schwer, sehr schwer. Der Mensch ist der Gleiche, aber die Veränderungen sind schon gravierend. Ich möchte niemandem abverlangen, mit der Situation sofort klarzukommen.
Neulich habe ich einen Kommentar gelesen von einer Partnerin, die sich hinter die Transition ihres Partners gestellt hat, obwohl es für sie unglaublich schwer war. Für sie war ein Knackpunkt, dass ihr(e) Partner(in), ich weiß nicht mehr in welchem Stadium sie war, auch noch an Krebs erkrankte. Da plötzlich spielte das Geschlecht absolut keine Rolle mehr, sondern nur noch der Mensch. Dieser Text hat mich sehr berührt und ja, es gibt etwas hinter dem Geschlecht, was einige Partnerinnen sehen können, aber es gibt eben auch das Geschlecht.
Noch mal um das abzukürzen: ich glaube, dass wir an dem Punkt, an dem wir in dem oben erwähnten Dilemma stecken, keine Forderungen an die Partnerschaft stellen dürfen, nur eine an uns: immer ehrlich zu sein und dem Partner die Möglichkeit zu geben zu reagieren. Und zwar nicht zu spät. Und von beiden Seiten.
Ich hab jetzt so viel über die Partnerschaft geschrieben, weil das ein Punkt bin an dem ich im Moment noch festhänge. Und Kinder hab ich noch keine
Liebe Grüße aus Köln, Sophie